von Florian Kalenda
Das rotweiß karierte Muster der Tischdecke ist kaum zu sehen. Überall liegen Bücher. So ist das immer am frühen Samstagabend im Café Rosi. Hier im Nebenzimmer treffen sich die alten Damen vom Krimiclub. Sieben Rentnerinnen sind es. Manche lesen drei oder vier Bände pro Woche. Die Bücher wandern um den Tisch. »Kennst du das schon?«
Elfriede sitzt an der Stirnseite. Vor ihr liegt Der große Schlaf. Wie oft hat sie das gelesen. Rosi bringt ihr eine Tasse Arabica-Kaffee extra stark. »Hast du gehört, dass sie das Rennen verboten haben?« Sie spricht vom Dorffest am kommenden Wochenende. Traditionell organisiert die Freiwillige Feuerwehr ein Ochsenreiten. Ein Höhepunkt im Ortsleben. Doch dieses Jahr soll es ausfallen. Zu gefährlich. »Das ist bitter für die jungen Burschen«, sagt Elfriede. »Die haben Schneid.« – »Ja freilich«, lacht Rosi. »Die sind so stur wie die Viecher, die sie reiten!« Sie muss wieder hinter die Theke, Gäste warten.
Soll die Jugend stillhalten und staubige Bücher lesen? Elfriede fixiert den Wimpel in der Tischmitte. Er zeigt eine Lupe. Die erinnert sie an die Lesebrille in ihrer Handtasche. Ans Altwerden will Elfriede nicht denken. Sie muss sich beim Aufstehen schon auf ihren Spazierstock aus Kastanienholz stützen. Oder wenn ihr schwummrig wird. Gertrud dagegen wandert noch auf die Berge. Wie sie sich ereifert! Einen Krimi hält sie hoch, Alptraum unter Milchschaum von Judith Jetzendorfer. »Das ist so raffiniert«, sagt sie.
Bärbel widerspricht. »Ich habe ihr voriges Buch besser gefunden, wie hieß das noch?« Bärbel ist Elfriedes beste Freundin. Sie fährt ständig mit dem Rad. Das muss sie aber auch, weil sie eine Schwäche für Kuchen hat. »Meinst du vielleicht Alptraum unterm Weihnachtsbaum?«, wirft Gertrud ein. Bärbel glaubt, ja, das war es. »Am liebsten ist es mir, wenn ein Krimi mit dem Mord losgeht und ich mitraten kann«, sagt sie. »Und wenn ich am Ende überrascht werde.« Elfriede hört nur obenhin zu. Sie spürt dieses Kribbeln. Auch wenn hier ein Aschenbecher steht, will sie nicht als Einzige rauchen. Aber sie will jetzt auch nicht vor die Tür gehen. Sie gehört zum Club.
Neulich, auf dem Weg zum Kiosk, um Zigaretten zu holen, hat sie Gertrud getroffen. Mit einem Fernglas um den Hals. Sie haben kurz durchs Autofenster gesprochen. Die Bergvögel auf dem Grüneck wollte Gertrud beobachten. Sie verschwendet ihre Energie, findet Elfriede. Sie ist eine geborene Detektivin. Genau wie Bärbel, die noch jeden zum Reden gebracht hat. Und Elfriede selbst mit ihrem messerscharfen Verstand.
»Wisst ihr was«, sagt Elfriede. Sie sagt es so laut, dass sich alle sechs Köpfe zu ihr drehen. »Diese Bestseller sind alle furchtbar konstruiert. Die Motive sind zweifelhaft, die Handlung ist voller Lücken.« Sie schiebt den Chandler beiseite. »Eines Tages werden wir einen echten Fall lösen.« Sechs Paar Augen starren sie erschrocken an. Nur das Summen der Fliegen stört die Stille. Dann tritt Rosi ein mit sieben Gläsern und der Likörflasche auf dem Tablett. Die Damen atmen erleichtert auf.
Bald ist es neun Uhr. Das Café schließt. Alle kommen vor dem Gewitter heim.
© Florian Kalenda 2024-01-08