Der Kaugummi und die Kommunikation

Maja Hoffmann

von Maja Hoffmann

Story

Ein Individuum kann ich nur sein durch sprachliche Selbstdarstellung, nur was bin ich denn zwischen Masken, Hüllen, Oberfläche, Mimik, Gestik, bloßen dahergesagten Worten und nonverbaler Kommunikation? Verstehe ich ohne Laute und nur durch Blicke oder Berührungen mehr oder noch weniger, und wieso sind Augen oft wie stopfende Watte so weich und doch inhaltslos, die mein Innerstes braucht und irgendwie berühren? Etwas wie Kaugummi, der sich lang zieht, wie Kommunikation auch, zäh, nie zu Ende gekaut, potentiell unendlich, doch der Geschmack geht verloren und meine Kiefermuskeln tun weh. Vom immer wieder Durchkauen und vom fremdartigen Sprechen, vom so-tun-als-ob, vom Schauspielern. Ich bin wie ein Goldfisch hinter dickem Glas, mache meinen Mund auf, doch nichts kommt heraus, niemand hört mich etwas sagen, ich glotze nur, schwimme nur herum, die immer gleichen Runden im Glas. Unterwasser bin ich stumm, aber eigentlich habe ich eine Lunge und will an die Luft. Der Kaugummi und die Kommunikation – sie enden nie, denn ich finde kein Ende, kaue bis zur Erschöpfung mein eigenes Fleisch, zehre von mir selber, meiner Substanz. Verdaut und ausgeschieden werden Teile meiner Sprache und Sprachfähigkeit, sie gehen verloren, so fühlt es sich an. Ich kaue bis zur Erschöpfung mein eigenes Fleisch – meine eigenen Sprachversuche, meine unechten, verwischten Lacher, wenn ich torkel in Menschen, die mich verschwinden lassen. Ich verhaspel, verspreche, verschlucke mich an Musterlösungen, die nicht aus meiner Feder stammen, denn ich habe keine mehr an meinen Flügeln. Ich kann nicht mehr fliegen, falls ich es überhaupt irgendwann richtig konnte und nicht nur bloß hochgesprungen, runtergesprungen, abgestürzt und aufgeprallt bin. Nein, meine Füße sind gebunden am Boden der sprachlichen Grenzen. Mein Sein gebunden an der Norm. Meine Identität konstituiert sich nicht, stellt sich nicht dar, ist nur durch Milchglas erkennbar, hinter Milchglas verschwommen, verwischt ohne klare Konturen. Ich bin wie eine asynchrone Tonspur zum Bild, wie ein fremdsprachiger Film ohne Untertitel, wie ein Wimpernschlag zu oft geblinzelt, um das Bild im richtigen Moment zu sehen, immer ein bisschen aus dem Takt, aus dem Panorama gefallen, aus der Zeit, aus der Luft, aus der Leichtigkeit. Ich bin die Sprache, die sie nicht sprechen. Der Kaugummi in der Kommunikation – es sind die immer gleichen Themen, die zu oft zur Sprache kommen ohne handfestes Ergebnis, die immer gleichen Glaubenssätze und Regeln die durchgekaut und vorgelebt werden ohne ein Ende zu finden. Es sind die fehlenden Sprachrohre für Andersklingende, die fehlenden Vorbilder, das elitäre und unzugängliche Umfeld für weniger privilegierte Menschen. Die elitäre Literaturbranche, die Universität, in denen Arbeiterkinder eine ungesehene Minderheit bilden. Wenn man gegen Schranken in der Gesellschaft nicht ankommt, immer gegen Wände läuft, das Glashaus sich nicht durchbrechen lässt, dann fühlt sich die eigene Existenz sprachlos an, nicht wahrnehmbar, das Beweisen im ermüdenden Hamsterrad monoton und zäh wie Kaugummi.

© Maja Hoffmann 2024-07-14

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Reflektierend