von Gerhard Maier
Langsam fahren wir auf dem gemächlich fließenden Grenzfluss zwischen Namibia und Angola dahin. In Namibia sind wir aufs Boot gegangen, der Fluss wird hier Okawango genannt, in Angola nennt man ihn Cubango. Das milde Licht des Spätnachmittags zaubert eine friedliche Stimmung herbei.
Das namibische Ufer steigt stark an und ist mit hohen Bäumen bestanden. Wir fahren ganz nahe am angolanischen Ufer entlang, dieses ist flach und dicht mit Schilf bewachsen. Auf einer Sandbank liegt in unserer Augenhöhe ein großes Krokodil. Ein paar hundert Meter weiter gibt es Rauchschwaden in Angola, vielleicht wird Schilf verbrannt.
Am Ufer erkennen wir einen Mann, der ruhig auf einem flachen Einbaum sitzt und wartet. Sein dunkles Gesicht trägt eine breitflächige Nase. Ich bitte unseren Bootsführer nahe zu dem Mann zu fahren, ich möchte ein paar Brocken Portugiesisch auspacken: „O que esperando aqui?“ (Auf was wartest du?). Er sagt so was wie: „Eu vejo onde estao os crocodilos!“ Ich übersetze, dass er nach Krokodilen Ausschau hält.
Eine afrikanische Fabel kommt mir in den Sinn. Der Geschichtenerzähler schildert seinen Zuhörern theatralisch, wie die Feindschaft zwischen Menschen und Krokodilen entstanden ist. Ein Krokodil hatte einen weißen Hahn als Freund, der täglich aus dem Dorf zum Fluss auf Besuch kam. Der Hahn brachte dem Krokodil kleine Geschenke mit und versorgte ihn mit Tratsch aus dem Dorf. Die beiden hatten ähnliche Interessen, viele Frauen und regelmäßig fressen. Der Hahn schilderte, wie ihn seine Herrin hegte und pflegte, damit er seinen Harem bei Laune halten konnte.
Eines Tages kam der Hahn nicht zum Fluss, das Krokodil machte sich Sorgen. Am nächsten Tag watschelte es in das Dorf und fragte die Herrin des Hahns, wo dieser sei. Die Herrin lachte das Krokodil aus, der alte Hahn hat es nicht mehr gebracht, er wurde gestern zu Suppe verkocht. Das hat das Krokodil ins Herz getroffen, es packte die Frau und zerrte sie ins Wasser, wo sie verspeist wurde. Seitdem sind sich Menschen und Krokodile spinnefeind und dürfen sich nicht über den Weg trauen.
Das ist eine Fabel aus den portugiesischen Afrikakolonien. Angola wurde 1975 von Portugal unkoordiniert in die Unabhängigkeit entlassen. Drei Befreiungsarmeen, die zuvor Portugal bekämpft haben, richteten nun ihre Waffen gegeneinander. Es artete zu einem jahrzehntelangen Stellvertreterkrieg zwischen Ost und West aus. Kuba engagierte sich am intensivsten, man schätzt, dass an die 400.000 kubanische Soldaten in dreizehn Jahren in Angola eingesetzt waren. Auf Seite des Westens war die südafrikanische Armee involviert, die ihre Operationen aus dem besetzten Südwestafrika ins Land trugen.
Da es keinen Sieger geben konnte, kam es zu einer diplomatischen Lösung. Kuba musste aus Afrika abziehen, dafür gab Südafrika den Weg zu einem unabhängigen Namibia frei.
Angola leidet heute noch unter diesen Auseinandersetzungen und ist weiterhin ein Land in einem langen Wiederaufbau.
© Gerhard Maier 2021-03-27