Der Mogul. Der Geliebte.

Gunny Catell

von Gunny Catell

Story
London 2014

Es gibt einen Film, der mich ob seiner opulenten Schönheit so gefangen genommen hat, dass ich immer noch von diesem Erlebnis träume, mehr noch, mich jeden Tag in diesen magischen Zustand hineinversetzen möchte. Das verwirkliche ich nur, indem ich oft an Orte reise, wo ich eine ebensolche Faszination erleben oder erahnen kann. Noch dazu handelte dieser Film von einem indischen Prinzen, der die Liebe seines Lebens gefunden hat und dafür alles aufgeben will. Mit Prinzen konnte ich mich schon in frühester Kindheit identifizieren. Bei der Aufführung von Bühnenstücken (wie der Schneekönigin) an der Schule wurde ich immer mit der Rolle des Prinzen besetzt. Sie passte perfekt zu mir. Die Liebe des Prinzen in „Mogul“ war eine Tänzerin und nichts entfacht mehr Leidenschaft in mir als Tanzen. Aber wie kam ich zu diesem Opus? Beloved (diesen Namen gab er sich) fragte mich nach einem Treffen, ob ich mit ihm im Zug von Carlisle zurück nach London fahren würde. Im Zug war er sehr ruhig, aber immer mit einem liebevollen Lächeln in seinen Augen. Sein Körper schien sehr schwach zu sein – dennoch erinnerte ich mich daran, dass er bei unserer letzten Gruppenumarmung derjenige war, der mich mit Abstand am stärksten umarmt hatte. Im Zug las er das Buch „Leben im Licht“ von Shakti Gawain. Ich sah mir die Zeilen an, die er las: „Verurteile dich niemals selbst, wenn du deine Absichten verfolgst. Irgendwann wirst du diesen spirituellen Weg beschreiten, denn sonst wird dir bewusst, dass du dein Leben nie wirklich gelebt hast. Je früher du es tust, desto erfüllter ist dein Leben. Lebe liebevoll, offen und zugewandt, um anderen sofort das Gefühl zu geben, geliebt und angenommen zu sein“ Ich fragte ihn, ob er mit mir ins London Film Museum zur Aufführung von Mughal-e-Azam, dem indischen Filmklassiker, kommen würde. Er war zu müde, um mit mir zu gehen. Er sagte, er habe die letzten Tage nicht schlafen können. Wir umarmten uns ein letztes Mal, bevor wir uns verabschiedeten. Ich glaubte, dass wir jetzt Freunde waren. – Ich war der Letzte, der ihn lebend gesehen hat. Einige Tage später erhielt ich die Nachricht, dass er Selbstmord begangen hatte. Monatelang stand ich unter Schock. Er war so ein kluger Kerl, aber HIV-positiv. Es war zu spät für ihn. Leider hat er den schönsten Film versäumt, den ich jemals gesehen habe. Das Monumentalepos Der Mogul aus 1960 ist ein wahres Meisterwerk des indischen Kinos (genauso wie Pather Panchali). Die Betrachtung auf der Leinwand war jenseits aller Vorstellungskraft, unübertrefflich. Kaiser Akbar schickt seinen verwöhnten Sohn Prinz Salim in den Krieg, um ihn Mut und Disziplin zu lehren und verlangt von ihm absolute Treue gegenüber den Traditionen. Salim aber, von Herzen ein freier Geist, verliebt sich in die schöne Tänzerin Anarkali (Granatapfelblüte). Der Kaiser fordert daher von ihm das größte Unglück, nämlich seine Geliebte nicht zu lieben. Er will sie sogar töten lassen und lässt sie bei lebendigem Leib einmauern. Diese Geschichte machte mich deshalb so betroffen, weil auch meine Eltern meine Gefühle missachteten. Im letzten Moment gestattet der Kaiser der Tänzerin aber das Land zu verlassen, darf jedoch Salim nie mehr wiedersehen. Das Epos zeigt, dass wahre Liebe jedes Opfer erfordert, und stärker ist als Mauern und Gefängnisse. Seit dem Tod von Beloved habe ich immer das Gefühl, ich tue nicht genug für das Leben – gehe nicht tief genug. Daher erhebe ich jetzt meine Stimme …


© Gunny Catell 2025-02-20

Genres
Spiritualität
Stimmung
Abenteuerlich, Herausfordernd, Emotional, Hoffnungsvoll, Angespannt
Hashtags