#lebensmitteplus #körpergefühl #wohlfühlen
Ich hatte die Mitte des Lebens bereits überschritten und wenn ich den Aussagen anderer Frauen Glauben schenken sollte, dann hatte ich figurtechnisch die besten Voraussetzungen einen Rettungsring zu erwerben. Lange war ich fest davon überzeugt, dass allein der Glaube an diese Prophezeiung mich dahingebracht hatte. Nämlich zehn Kilogramm schwerer. Irgendwie erinnerte es mich an die hormonell schwankende Schwangerschaft und deshalb habe ich mir den schönen Gedanken zurechtgelegt: Das geht schon wieder vorbei, nur so eine Phase!
Leider war es nicht nur eine Phase, sondern ein Zustand, der nicht sehr vorteilhaft wurde. Ich hatte Schwierigkeiten beim Wandern, Probleme mit den Knien, beim Radfahren, beim BĂĽcken, beim Socken anziehen. Wie eine Dampflock kam ich mir mittlerweile vor und meine Leibesmitte sah aus wie ein Schwimmreifen.
„Mach dir nichts draus!”, sagten meine Freundinnen.
Ich merkte, wie ich dadurch nur noch mehr Essen in mich hineinstopfte. Die Hormone! Ja, sie waren sicher schuld an dem Bauchfett, oder? Und der Stoffwechsel … oder war das wieder nur so ein Gedanke, der eigentlich nach Hilfe schrie? Männer mittleren Alters bekommen auch ein Wohlstandsbäuchlein. Warum darf ich das als Frau nicht auch haben? „Schon wieder so eine Diskriminierung – meiner selbst!”, dachte ich. Meine Frauenärztin sagt, die Menopause liegt im Durchschnitt bei 52 Jahren. Also mein Schwimmreifen liegt damit auch im Durchschnitt, das beruhigte mich, vorerst.
So, und wie geht`s jetzt weiter? „Ich nehme mich an, so wie ich bin!”, das wäre eine Option.
Das fiel mir doch ziemlich schwer und das wollte ich auch nicht. Zum Glück bin ich eigensinnig und diese Eigenschaft habe ich mir zunutze gemacht. Mein Ziel war es, mich wohlzufühlen, egal wieviel die Waage anzeigt, egal wie hoch mein BM (Body-Mass-Index) war. Was ich damals noch nicht wusste war, dass ich mit Essen zusätzlich ein sehr wichtiges Bedürfnis kompensierte.
Es war das GefĂĽhl der Geborgenheit.
Es fehlte mir in den letzten Jahren. Ich hatte mich auf Menschen fokussiert, von denen ich dachte, sie würden mir dieses Gefühl vermitteln. Ich hatte mich durch dieses Verhalten emotional an etwas gebunden, dass nicht erfüllbar war. Es war ein Wunschdenken. Ich kann niemanden dazu verpflichten, mir das Gefühl von Geborgenheit zu schenken, denn Geborgenheit ist ein Zustand des sich Wohlfühlens. Es ist mehr als nur Sicherheit, Schutz und Unverletzbarkeit. Unter anderem hat es auch das Vermissen der Nähe zu meinem Elternhaus symbolisiert. Die Wärme und den Frieden. Das alles galt es, in mir selbst zu finden.
Es war eine aufregende Reise zu meinem eigenen ICH und nun kann ich stolz von mir behaupten:
Mein Schwimmreifen wurde zu meinem Rettungsring. Ich habe gelernt, mein Alter, meinen Körper und seine Veränderungen zu lieben.
© die kunst der perspektive 2021-03-19