Der Schmerz des Unverstandenseins

Anne_Ladgam

von Anne_Ladgam

Story

Als ich das erste Mal im heißen Wien BerĂŒhrungspunkte mit der Pride- Regenbogenparade hatte, war ich total abgestossen von der exzentrischen Auftrittsweise, den spĂ€rlich bekleideten Menschen, der aufdringlichen Demonstration der Körper. Vielleicht eine ReizĂŒberflutung fĂŒr mich, vielleicht ist die Parade auch besonders anstrengend in Erinnerung, weil wir mit unserem Baby im Tragetuch von diesem bunten Wirbel ĂŒberrollt wurden und nur zufĂ€llig zeitgleich in Wien waren. Der Tumult war zuviel fĂŒr zarte Babyohren. Es war laut, es war bunt, es war schrill. UmzĂŒge jeder Art, die vielleicht auch noch in Kombination mit Alkohol Menschen veranlassen, ihre SchamgefĂŒhle ĂŒber Bord zu werfen und anderen ihre Haltung aufzudrĂ€ngen, stossen mich generell ab. Das ist nicht meines. Aber im Pride-Monat Juni 2022 fĂ€llt mir eine ganz leise Geschichte ein, die ich erlebte, als ich in die Höhere Schule kam. Eine entfernt bekannte Person rief mich eines Tages an und wollte sich unbedingt mit mir treffen. WĂ€hrend unseres Spaziergangs erzĂ€hlte sie mir traurig, dass sie mit einer Person aus ihrer Klasse einfach keinen Kontakt bekĂ€me, sie wĂŒrde so gerne neben ihr sitzen, aber diese Person wolle absolut nichts von ihr wissen. Wir flanierten durch ein Wohnviertel, zufĂ€lligerweise genau dort, wo die Person wohnte, ĂŒber die wir sprachen, und gingen Girigari getrieben von den vielen Worten meines GegenĂŒbers den Wegen entlang. Meine Bekanntschaft war tieftraurig, verzweifelt ĂŒber diese Ablehnung und ich hörte zu, konnte es aber nicht nachvollziehen: “ Wenn man keine Sympathie bekommt – wozu dann dieser Person nachlaufen?“, so dachte ich. Ich konnte nur den Kopf schĂŒtteln ĂŒber den Unwillen, sich einfach andere VerbĂŒndete zu suchen. Ich verstand nicht, wieso sie so beharrlich an dieser Schulfreundschaft festhielt. Sie hörte nicht auf, sich darĂŒber zu beklagen. Es war ein langes GesprĂ€ch in deprimierter Stimmung. Ich begann zu argumentieren und LösungsvorschlĂ€ge zu servieren, gab Tipps und gutgemeinte RatschlĂ€ge. Ich begriff bis zum Ende des Treffens nicht, dass diese Person kein Problem mit einer Schulkameradschaft hatte, sondern dass diese Person unglĂŒcklich verliebt war. Verliebt in eine gleichgeschlechtliche Person. HĂ€tte ich es kapiert, hĂ€tte ich vielleicht auch noch herzlos meine damalige Haltung hingeschleudert, dass es fĂŒr mich in einer intimen Beziehung einfach nur Mann und Frau gibt. Punkt. So geradlinig und auch hart sah ich es damals. Vielleicht war es ein Segen, dass ich zum damaligen Zeitpunkt nicht erfasst habe, worum es dieser Person ging , sonst hĂ€tte ich sie vielleicht noch mehr gekrĂ€nkt. Es tut mir leid, dass ich ihr nicht empathischer und verstĂ€ndnisvoller begegnet bin. Sie, die bei mir vielleicht Trost und VerstĂ€ndnis suchte, hatte sich geöffnet, aber ich hatte das Problem nicht gesehen. Letztendlich ist doch das Unverstandensein oft eine große Verletzung, die niemand sieht, die aber unsichtbar blutet.

© Anne_Ladgam 2022-06-17

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