von Anna Th
Ich mache die Augen auf und sehe, dass ich vor einer Klippe stehe. Sie ist hoch und der Gedanke da jetzt hinunterzuspringen, macht mir Angst. Wie bin ich überhaupt auf diese Klippe gekommen? Ich kann mich nicht daran erinnern. Ich weiß nur, dass ich jetzt davorstehe und eine Entscheidung treffen muss. Gehe ich noch einen Schritt weiter? Springe ich in das Ungewisse? Hier oben ist alles vertraut. Ich könnte einfach hier bleiben. Zwar gibt es nicht viel und ich fühle mich abgeschottet, aber der einzige Weg hier heraus, wäre es von der Klippe zu springen. Ich wüsste gerne wie tief das Wasser ist. Ob der Aufprall weh tun wird und wenn ja wie intensiv der Schmerz ist. Was ist, wenn das Wasser nicht tief genug ist und ich sterbe? Oder was passiert, wenn ich an Land schwimme und das Land wieder nur klein ist, wenig Früchte trägt und ich mir wünschen würde, wieder zurück hier oben zu sein.
Dennoch fühlt es sich falsch an hier zubleiben. Ich habe mir zwar eingeredet, dass hier alles ist, was man zum Leben braucht und dass ich hier glücklich bin, aber innerlich weiß ich, dass das nicht der richtige Ort für mich ist. Ich bin aber auch noch nicht bereit um zu springen. Doch ich frage mich, werde ich jemals bereit sein? Wird es jemals den optimalen Moment geben? Vielleicht, wenn ich schon fast verhungert bin und meine einzige Chance zu überleben das Springen ist. Aber will ich wirklich so lange warten? Nur, weil ich gerade ein bisschen Angst habe? Vielleicht sollte ich nicht weiter darüber nachdenken und einfach runterspringen. Vielleicht sollte ich einfach darauf vertrauen, dass das Wasser tief genug ist und dass ich mich lange genug über Wasser halten kann. Ich gucke kurz hinunter, aber ich traue mich noch nicht. Ich setze mich auf die Kante der Klippe. Unter mir sehe ich das Glitzern des Wassers. Ich blicke in den Himmel und sehe einen wunderschönen Sternenhimmel. Wenn ich mich auf die Schönheit um mich herum konzentriere, vielleicht möchte ich dann ja gar nicht mehr an einem anderen Ort sein. Ich gucke mich um und sauge den Anblick der paar Sträucher, die in der Nähe stehen und des Wassers, sowie des Sternenhimmels auf. Ich atme ein und die frische Luft erreicht meine Lunge. Ich fühle mich lebendig und überwältigt von dem Glück, welches in mir hochsteigt. Langsam fallen meine Augen zu.
Den nächsten morgen wache ich auf und verspüre einen riesigen Hunger. Ich stehe auf und will ein paar Beeren pflücken. Da fällt mir auf, dass der Beerenstrauch schon leer ist. Ich gehe zu dem Apfelbaum und pflücke mir einen Apfel, der jedoch schon etwas überreif ist. Ich will mich waschen, aber der kleine Fluss neben mir ist schon total verdreckt. Deswegen lasse ich es. Ich fühle mich eingeengt und einsam auf dieser kleinen Insel, doch vielleicht ist der nächste Ort noch schlimmer. Vielleicht gibt es dort weder einen Beerenstrauch noch einen Apfelbaum. Vielleicht finde ich keinen anderen passenden Ort für mich. Aber vielleicht finde ich auch einen Ort, der noch viel schöner ist. An dem ich satt werde, schwimmen gehen kann und vielleicht sogar Gesellschaft finde. Und wieder überlege ich, ob ich nun von der Klippe springen soll. Ist jetzt der Moment, obwohl es gestern wieder so schön war? Wird es wieder so schön? Oder soll ich jetzt springen?
© Anna Th 2025-03-26