von AndreaSelene
„Heuer bekommst du bei der Schulaufführung eine ganz besondere Rolle“ lautete die Ansage meiner Ballettlehrerin. „Du wirst den sterbenden Schwan tanzen“ Darauf hin erzählte sie mir, dass es eine ganz besondere Ehre sei dieses für eine russische Primaballerina komponierte Stück zu tanzen. Die Handlung: Ein sterbender Schwan.
Heute wäre es um ein Vielfaches leichter sich auf so eine Rolle vorzubereiten. Unzählige Stars kann man auf you tube finden, die diesen berühmten Schwan verkörpert haben. Das inspiriert und hilft sicher sehr bei der Rollenerarbeitung. . Das Internet gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht und ich musste anders an diese Herausforderung herangehen. Wie fühlt sich ein Schwan? Was erlebt er? Wie bewegt er sich? Und was geht in einem Lebewesen vor, wenn es stirbt? Das sind die essenziellen Fragen, die ich mir gestellt habe. Schwäne zu beobachten war dabei der vergnügliche Teil der Aufgabe. Aber Tod? Gott sei Dank hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt wenig damit zu tun gehabt. Wie fühlt man sich in den letzten Augenblicken des Lebens?
Ich begann die Choreographie zu erlernen. Schritt für Schritt gelang es mir besser, meine Arme wie Flügel zu bewegen und mich auf den Zehenspitzen so über die Bühne zu bewegen, dass es wie „am Wasser gleiten“ aussah. Der erste Schritt war getan. Ich wurde zu einem Schwan. Wie aber sollte ich nun die letzten Augenblicke dieses Wesens glaubhaft verkörpern? Ich denke. so recht ist es mir bei keinem Versuch gelungen. Und dann kam der große Tag: Die Schulaufführung im Linzer Brucknerhaus.
Mit Herzklopfen stand ich hinter der Bühne. Mein Knie schmerzte von den unermüdlichen Probenarbeiten und ich hatte Angst zu versagen. Wie konnte ich nur zusagen, mich in die Fußstapfen der größten Tänzerinnen zu wagen!
Das Licht auf der Bühne wurde dunkel. Mein Zeichen. Mit dem Rücken zum Publikum in den Scheinwerferkegel hineinschweben. Ganz Schwan. Mein letzter Tanz. Meine Arme fühlten sich kraftvoll und unendlich weit an, mein Hals lang und ich mich majestätisch. Und dann wurde ich schwächer, schwächer und schwächer – bäumte mich auf – die Beine versagten – ein letzter Flügelschlag – ein letzter Blick in diese Welt – und ….
….. tosender Applaus! Ich wachte wie aus einer Trance auf. Stand auf und verneigte mich in der Rolle des Schwans. Alle Zuschauer erhoben sich von den Plätzen und klatschten Beifall.
Noch heute, über 30 Jahre später, sprechen mich Menschen auf diese Augenblicke an. Ich glaube ich habe den Schwan nicht getanzt – es ist mir damals gelungen „Schwan zu sein“. Schwäne begleiten mich seit dem in meinem Leben. Ich liebe diese Tiere und fühle mich mit ihnen sehr verbunden.
Dieser Tag war sicher einer der Bedeutendsten in meinem Leben.
© AndreaSelene 2019-11-16