von Hermann Karosser
âEin Stubenwagen ist eine ausgezeichnete Schlafmöglichkeit fĂŒr Neugeborene und Babys in den ersten Lebensmonaten. Er kombiniert die Eigenschaften eines Babybetts mit der MobilitĂ€t eines Kinderwagens. Stubenwagen zeichnen sich durch ihre kompakte GröĂe, kleiner als ein Standard-Babybett, aus. Sie sind mit groĂen Rollen ausgestattet fĂŒr einfache Beweglichkeit, mit einem schĂŒtzenden Stoffhimmel versehen und aus natĂŒrlichen Materialien wie Holz und Weide gefertigt. Viele Eltern schĂ€tzen Stubenwagen, weil sie das Baby tagsĂŒber in der NĂ€he haben können, nachts eine sichere Alternative zum Beistellbett bieten und einen nostalgischen Charme ins Kinderzimmer bringenâ. So weit mein ganz persönlicher âWerbetextâ. – Viele junge Leute schĂŒtteln verstĂ€ndnislos den Kopf, wenn man vom âStubenwagenâ spricht. Man kann zwar tatsĂ€chlich noch welche neu kaufen, aber das wird eher selten genutzt. Im Zeitalter von multifunktionalen Babybetten, die, wenn es stimmt, was die Werbung verspricht, mit dem Kind âmitwachsenâ, wĂ€hlen nur noch wenige das schon seinem Namen nach eher âaltertĂŒmlicheâ MöbelstĂŒck fĂŒr ihre âgute Stubeâ.
Ich weiĂ nicht wie alt meiner ist, vielleicht gab es ihn ja sogar schon als meine Geschwister Babys waren. Aber egal, ob nun ĂŒber 80 oder ânurâ 70 Jahre alt, ganz sicher bin ich mir, dass ich meine ersten Lebenswochen darin verbracht habe, in meinem Stubenwagen. ErwĂ€hnenswert ist das deshalb, weil es ihn immer noch gibt und weil er auch nach mir noch fĂŒr einige ErdenbĂŒrger sozusagen âdie Wiegeâ war. Der rechteckige Korb steht auf vier gedrechselten Beinen, an deren Enden hölzerne RĂ€der angebracht sind. Er ist mit einem leichten Stoff ausgekleidet, dem gleichen, der auch das dreieckige âDachâ ĂŒber dem ganzen bildet. Letzterer ist natĂŒrlich nach so vielen Jahren nicht mehr original. Melanie hat ihn mit ihrer Mama liebevoll erneuert, bevor unsere Enkelkinder darin schlafen durften. Aber das Gestell ist noch ganz original, abgesehen davon, dass ich es einmal abgeschliffen und neu lackiert habe.
Als die Geburt unseres Sohnes Dominik bevorstand, habe ich meine Mutter gefragt, âgibt es MEINEN alten Stubenwagen noch?â. Ich war mir da nicht sicher, weil ich nicht wusste, ob nach mir ĂŒberhaupt noch jemand, zum Beispiel Kinder meiner Geschwister, ihn benutzt hat. âSo etwas wirft man nicht weg, zumindest nicht ichâ, hatte sie geantwortet und mich in den Dachboden geschickt. Dort stand ein wenig versteckt zwar, aber sorgfĂ€ltig geschĂŒtzt durch eine PlastikhĂŒlle das gute StĂŒck und wartete auf den nĂ€chsten SĂ€ugling, den es beherbergen sollte.
Auch Renate und ich haben den Stubenwagen, trotz seines hohen Alters, nach den Babyjahren unserer Kinder nicht entsorgt. Sogar Freunde haben sich ihn ausgeliehen fĂŒr Ihre Kinder. Aber ganz besonders gefreut hat uns, dass unsere bisher drei Enkelkinder alle die ersten Wochen ihres Lebens quasi in der gleichen Umgebung verbringen durften, wie schon ihr Opa vor langer Zeit und ihr Papa. Ob man es nun als ânostalgische SchwĂ€rmereiâ bezeichnet oder womöglich sogar als âaltmodischen Kitschâ, ein wenig Tradition, glaube ich, tut uns allen auch in diesen Zeiten ganz gut, selbst wenn sie nur von etwas so Einfachem wie einem Stubenwagen getragen wird.
© Hermann Karosser 2024-07-25