Der Tag an dem Oma in den Zug stieg

Figaro

von Figaro

Story

Nächster Halt unbekannt, steht vorne in kleiner, goldener Schrift. Der Zugführer hat ein warmes und herzliches Lächeln im Gesicht, mit weisen und gutmütigen Augen. Ok, da darf sie einsteigen. Dem vertrau ich…

Samstag 30.4.2016 Wir sind auf einer Gartenmesse in Perchtholdsdorf. Ein sonniger Samstag im Frühling, mein Freund, drei Hunde und gute Laune im Gepäck. Schmetterlinge tummeln sich um die Fliederstauden, der Duft von Zuckerwatte und gebrannten Mandeln liegt in der Luft. In der Sonne ist es kaum auszuhalten.

Ein Anruf. „Oma ist grad ins Krankenhaus gebracht worden. Es hat sich rasch verschlechtert und sie war auf einmal nicht mehr ansprechbar. Es wäre jetzt die Zeit, zu kommen!“ Aufgehängt.

Ok, zwei Stunden Fahrtzeit, also nur schnell das Nötigste ins Auto werfen, Hundefutter, Zahnbürste, …nach eineinhalb Stunden Fahrtzeit, an die ich mich nicht mehr erinnern kann, ergibt sich ein Bild vor meinen Augen, das ich bis dato nicht kannte. Eine alte Frau liegt regungslos auf einer Intensivstation. Eine Maschine hilft ihr atmen. Sie kann es nicht mehr alleine. Oma, was ist passiert? Gestern doch noch am Rollator durch den Hinterhof zum Sonnenplatzerl. War ich solange nicht mehr da? Oder fragt mich das Schicksal einfach nicht um meine Meinung. Nein, natürlich nicht.

Ich bin entsetzt. Meine Familie ist um sie versammelt, als wäre es ein Begräbnis auf dem wir uns begegnen. Oma Ida ist noch da! Ich fange an zu weinen, betroffen und gefangen in einer komischen Ohnmacht, die mir gar nicht behagt.

Als wir Kinder waren, hat sie uns gezeigt wie man Häuser für die Waldgeister und Elfen baut aus Moos und Wurzeln. Im Sommer hat sie geschwitzt unter ihrem roten Kopftuch, bei der Heuarbeit. Sie hat nie gejammert. Oma hat 4 ihrer Kinder überlebt, einen Krieg, seine Folgen, Armut und Gott weiß was noch alles. Sie hat sich nie so wichtig gemacht.

Wir wechseln uns ab. Oma braucht nicht allein sein. Wir gehn alle ein Stück mit, am letzten Weg. Viel Kaffee, Rauch- und Gassipausen mit den Hunden, die sich im Auto zusammen gekuschelt haben. Zustand gleichbleibend. Ratlosigkeit.

Als junger Mann war ich unsterblich in Yanos verliebt. Aber Yanos war in Griechenland und ich hatte kein Geld um ihn wieder zu besuchen. Oma Ida zahlte mir den Flug und keiner ausser ihr, wusste von meiner geheimen Liebesreise an die Ägäis. Sie hat mich verstanden.

Wir verbringen die Nacht abwechselnd, ein paar Stunden schlafend, fröstelnd im Auto auf der Rückbank bei den Hunden oder im sterilen Raum mit Glastüre und den monotonen Geräuschen der Beatmungsmaschine. Luftleerer Raum.

Es ist Sonntag Nachmittag und ich mache die Schicht. Wir sind alleine. Irgendwie wird alles auf einmal ruhig, auch das Atmen. Die Wolken öffnen sich und die Sonne kommt durch. Ich öffne das Fenster, damit die Seele fliegen kann. Alles ist so still. Was ist das für ein Geruch? Es riecht nach Werkstatt, Bienenhaus und Arbeitskluft. Danke Opa, dass du sie begleitest. Dann ist alles ok.

Der Zug fährt ab.

© Figaro 2020-04-15

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