Der tiefste Grund meines Schmerzes

Heute tauche ich tief. So tief wie ich es bisher noch nicht geschafft habe. Es geht nicht darum, den Rekord zu brechen, sondern um das Gefühl, dass ich jetzt dazu in der Lage bin. Ich habe viel an mir gearbeitet, habe viele Blockaden aufgelöst, mich therapieren und weiterbilden lassen. Nun spüre ich, dass die Zeit gekommen ist. Ich bin bereit. Mein Schiff, das mich bei diesem Tiefseetauchgang begleitet, ist gut ausgerüstet und sicher. Ich kann es wagen, mich in die Tiefe sinken zu lassen.

Nur selten gelangen Menschen an den tiefsten Grund ihres Schmerzes. Vielleicht blinkt er hin und wieder auf und die Menschen erschrecken und tauchen wieder auf, an die Oberfläche, wo es ruhig und beschaulich ist oder so lebendig, dass es keinen Platz für die schweren Gedanken gibt.

Ich weiß nicht, woher mein Drang kommt tiefer zu blicken. Ich spüre, dass die Tiefe immer das ist, was mich reizt. Die Oberfläche ist mir zu wenig. Mir ist bewusst geworden, dass ich zuerst meinen eigenen Schmerz ergründen muss, bevor mir die Menschen ihren Schmerz zeigen.

Langsam sinke ich tiefer und spüre, wie der Druck auf den Körper zu nimmt. Mein Kopf ist seit Wochen wie benebelt. Mein Hirn droht zu explodieren. Das ist Teil des Prozesses. Ich höre dem Druck zu, fühle ihn. Er wird mir den Weg weisen an den Ort, vor dem ich mich am meisten fürchte und der mich zugleich nicht mehr loslässt. Der Punkt of no Return ist überschritten. Also gebe ich mich diesem Druck hin, spüre wie er mich ganz zu verschlingen droht. Und genau das gilt es zuzulassen. Die Kontrolle abzugeben und mich dem Schmerz hingeben, damit er sich verwandeln kann. Wovor habe ich Angst? Dass ich nicht mehr auftauche, dass ich in der Tiefe stecken bleibe. Keinen Weg zurück finde aus dem Tal der Trauer. Ich erinnere mich an das Boot, dass oben an der Oberfläche auf mich wartet. Alles wird gut, dass Leben selbst trägt mich. Und so falle ich hinein in den Schmerz, lasse mich umhüllen. Gebe mich dem Gefühl hin unter dem Druck der Tiefe zu zerbersten. Mein Mantra ist Vertrauen, war es schon immer.