von Petronella
Für ein Landkind wie mich, war das Dorffest unseres Ortes immer ein Highlight des Sommers. Und so machten sich meine Freundin Helga und ich Samstagabend auf den Weg ins Dorfzentrum.
Es wurde viel gelacht, auf Biertischen getanzt, ausgelassen gefeiert und das ein oder andere Gläschen getrunken. Zu späteren Stunde landen wir in einem Bierzelt am Tisch von mehreren Typen aus der Nachbarortschaft. Charly, mein Sitznachbar, versorgt mich alsbald mit weiteren Getränken (die damals noch bedenkenlos angenommen werden konnten, so ganz ohne K.O Tropfen). Ich musterte ihn und er war grundsätzlich mein Beuteschema. Längere, blonde Haare, rockiger Kleidungsstil und bis auf den langen Ziegenbart, der sein Kinn zierte, war alles sehr zu meiner Zufriedenheit. Ich hasste Bart schon als Kleinkind und weigerte mich damals vehement, mit bärtigen Männern auch nur zu sprechen. Gut, in diesem Fall war die Abneigung bald ad acta gelegt und das Reden wurde irgendwann durch Küssen ersetzt.
Am nächsten Tag stand Frühschoppen am Programm. Die Zielgruppe am Sonntag wechselte allerdings von den jungen Wilden zu Familien mit Kindern.
Helga und ich mussten uns jedoch über den Vorabend austauschen und so spazierten wir wieder Richtung Ortskern. Man mag es kaum glauben, aber unsere Rocker schafften den Absprung ins Bett nicht und so wurde die Nacht durchzecht und immer noch fröhlich zelebriert. Ich bekam einen nicht mehr so frischen Kuss auf den Mund. Der Geschmack und Gestank tat meiner Schwärmerei für Charly in diesem Fall keinen Abbruch. Als Jugendliche fühlt man sich neben einem „echten“ Rocker so richtig cool und wild. Wir gesellten uns an den Tisch und scherzten über den letzten Abend.
Plötzlich höre ich ein grelles Gequietsche und nahm meinen Namen war. Ich schaute mich um und sah meine 6-jährige Schwester, die winkend auf sich und meine Eltern aufmerksam machte. Sie deutete meinen Eltern ihre Entdeckung. Ich wollte im Erdboden versinken.
Meine Eltern machten zum Glück keine Szene und marschierten scheinbar unbeirrt weiter.
So stand meiner Beziehung zu Charly nichts mehr im Wege und wir vereinbarten, dass wir uns am Nachmittag zusammenrufen, um das nächste Date zu vereinbaren. Er gab mir seine Festnetznummer und ich meldete mich wie ausgemacht. Die Dame, die sich am Telefon meldete, meinte jedoch, dass hier kein Charly wohnt. Zu meinem Glück konnte das der Mann im Hintergrund auflösen, indem er sich einmischte und schrie: „Sie moant an Fronz“. Also mein cooler Rocker Charly entpuppte sich als Franz und teilte den Telefonanschluss mit den Nachbarn. Ich gebe zu, es bröckelte etwas an der Coolnessfassade.
Das nächste Treffen begann vielversprechend. Helga hatte sturmfrei und so konnten wir uns ein Viererdate bei ihr einrichten. Bei der Verabschiedung rechnete ich allerdings nicht damit, dass der Abschiedskuss von meiner Mutter durch die Glasscheibe beobachtet wurde und so nahm der „Umgang mit dem Ziegenbartjungen“ bald ein jähes Ende.
© Petronella 2021-10-13