Dich spüren

Du ziehst mich an. Ich komme dir nicht aus, nicht an dir vorbei. Gehe einen mühevollen Weg. Weil es sein muss. Steige über Wurzeln und Steine. Komme außer Atem. Abgekämpft komme ich bei dir an. Mit hitzigen Wangen. Du liegst unbeweglich da, auf den ersten Blick zumindest. Hast du nicht auf mich gewartet? Ich habe mich so beeilt. Konnte es kaum erwarten, dich zu sehen.Dich wiederzusehen.

Das erste Mal in diesem Sommer werde ich eintauchen in deine Kühle, mit deinen Fischen schwimmen, mich auf den Rücken legen und deine Wolken betrachten. Sie gehören zu dir wie die Berge, die dich umrahmen. Es wird mir die Luft nehmen, weil du so kalt bist. Es wird Minuten dauern, bis meine Schwimmzüge langsam werden. Dann werde ich durchatmen.

Ich spüre dich. Der Wind malt dir Locken auf deine Haut. Glitzerndens Wasser teilt sich vor mir. Etwas berührt mein Bein. Ein Fisch, eine Pflanze? Stimmen weht es vom Ufer zu mir her. Doch niemand wagt sich ins Wasser. Ich bin alleine mit dir. Wir sind eins. Dein Blau, oder ist es ein Grün, manchmal vielleicht sogar ein Schwarz, berührt mich. Deine Kühle lässt mich fliegen über den Geheimnissen deiner Tiefe. Die Wurzeln und Felsen an deinem Grund kennen längst meinen Leib, sind vertraut mit meinem Atem und rufen: Tauch unter, lass uns deine Augen sehen und deine Haare! Wir wollen dich ganz!

Ganz in dich eintauchen muss ich. Aber sag, wer aller wohnt in deinem Bauch? Ich weiß von Forellen, Rotfedern und Bergmolchen, habe auch schon Muscheln auf deinem Grund gesehen. Doch ich bin mir sicher, dass du zaubern kannst. In dir finde ich Ruhe, du nimmst alles Schwere von mir, verwandelst mich in ein Wasserwesen, das sorglos durch deine Wellen schwebt. Nur deine Schwärze macht mir Angst. Wer lebt geheim in deinen Tiefen? Wassermänner, die meine Sehnsucht nach dir wachsen lassen und nur auf den Moment warten, mich zu verschlingen. Nixen, die mich mit deinem Tang fesseln, um meine Beine zu rauben?

Ich sollte nicht zu weit hinausschwimmen. Meine Zehen sind eisig. Gänsehaut breitet sich auf meinem Körper aus.

Doch ohne dich wäre mein Sommer nur halb. Du weißt es. Ich werde zittern, wenn ich dich verlasse.