von Gerhard Maier
„Mutter, ich muss weiter!“ „Hans, wo willst du schon wieder hin? Zu diesem alten Weib? Sag, findest du dir nicht etwas Besseres? Das ist doch eine Witwe mit Kind!“ „Kind gibt es keines, das ist schon seit einem Jahr tot, Mutter! Ich muss jetzt, sonst kommt der Zug.“
Unvernünftig, wie junge Männer oft sind, lässt sich Hans von der Mutter nicht halten und rennt über den Waldweg den Berg hinunter. Auf den Bahngeleisen trottet er von Schwelle zu Schwelle, bald öffnet sich ein schwarzer Schlund in der Felswand, der lange Tunnel führt von hier ins nächste Tal. Er muss das Zeitfenster nutzen, solange kein Zug kommt. Gefährlich wird es, wenn man im Tunnel mit einer Dampflok zusammentrifft, Funken und Rauch sollen sehr schlimm sein.
Der Weg durch den Tunnel ist verboten, aber jeder nutzt ihn, es ist der kürzeste Weg nach Pöham. Er rennt, in einer Viertelstunde erreichte er das Ende des Lochs, jetzt ist es noch ein Kilometer bis zu seiner Freundin. Maria erwartet ihn schon, sie ist schon 28, Hans erst 24 Jahre alt.
Hans kennt die kurze, aber dramatische Lebensgeschichte seiner Freundin. Sie ist die Tochter des Huf- und Nagelschmids Tobias Maier aus dem Steirischen Aich-Assach bei Schladming. Sie hat im Pichlmayrgut Köchin gelernt und dann einen Bahnbeamten aus ihrem Heimatdorf geheiratet. Das Glück schien perfekt, sie hatte einen Mann mit krisensicherem Beruf, bald gab es Nachwuchs, es war ein Bub. Das Glück zerbrach innerhalb eines Jahres, ihr Mann hatte einen tödlichen Arbeitsunfall. Ab dem Zeitpunkt erhielt sie zu mindest eine Witwenrente von der ÖBB. Tragisch, bald darauf starb der Bub noch im Vorschulalter innerhalb kürzester Zeit. Auf alleine gekommen zog sie zu ihrer Freundin nach Pöham. Dort, beim Fritzmühl-Wirt, sollte Maria den Hans kennenlernen, die beiden sollten meine Großeltern werden.
Meine Urgroßmutter war gegen die Verbindung ihres Sohnes mit dieser Witwe, aber mein zukünftiger Opa ließ sich nicht abhalten, bald kam mein Vater zur Welt. Ab jetzt musste „die Miaz (Maria)“ von der Familie geduldet werden.
An eine zweite Heirat wollte meine Oma nie denken, ihre Witwenrente war einfach zu gut, ihre Selbstständigkeit war ihr wichtiger. So erhielt mein Vater den Familiennamen der steirischen Familie Maier.
Meine Oma war eine gescheite, selbstständige, aber doch ruhige und bescheidene Frau. Sie lieh ihrem Vater Tobias Maier, dem steirischen Schmid, in Notzeiten Geld, das sie sich moderat verzinsen ließ. Meinem Opa musste sie erst Lesen und Schreiben beibringen, um ihn bei der ÖBB unterbringen zu können. Mein Vater hätte ohne diese Mutter wohl nie eine höhere technische Ausbildung ins Auge fassen können.
Meine Oma und ich haben uns bestens verstanden, sie hat mich immer unterstützt und motiviert. Ich erinnere mich, wie sie mir Häkeln und Stricken beigebracht hat.
In unserer Salzburger Familie wurde die Steirerin unter ihrem Wert geschlagen. Was von ihr sichtbar geblieben ist, ist ihr Steirischer Mädchenname Maier.
© Gerhard Maier 2020-12-09