Die Brüste der beliebten Mädchen

Jane Steinbrecher

von Jane Steinbrecher

Story

13 Jahre meines Lebens bin ich eine Außenseiterin mit blöder Frisur. Eines Tages schneide ich meine Haare auf Schulterlänge, kein hässlicher Pony mehr, und lege die Jungenkleidung ab.

„Du hast ja richtig Brüste“, staunt eine Mitschülerin. „Bestimmt verliebt sich Nils in dich.“ Meine Brüste können, was ich nicht konnte. Beliebt sein. Ich habe mich gehäutet, aus der Wurstpelle meiner Kindheit in ein neues, erwachsenes Ich. Zumindest denke ich das.

Als Nils und sein bester Freund mich während eines Films im Unterricht ungefragt befummeln, merke ich, dass meine Brüste sind wie die beliebten Mädchen. Mit ihnen abhängen macht einen beliebter, aber eigentlich bist du ihnen egal und am Ende steckst du in Schwierigkeiten. „Darf ich dich küssen?“ Diesmal fragen die Jungs wenigstens. Ich bringe sogar den Mut auf, nein zu sagen. Ich muss dreimal nein sagen, dann ist die Stunde aus. Hoffentlich war ich nicht zu verklemmt. Hoffentlich war ich cool genug. Hoffentlich habe ich niemanden enttäuscht.

Mich enttäuschen ständig Leute, zum Beispiel mit 14 der 20-Jährige in der Disco. Als er mir zwischen die Beine fasst, will ich nicht mehr mit ihm tanzen, trotzdem gebe ich ihm meine Telefonnummer. Ich weiß, wie weh Zurückweisung tut, ich kann ihn nicht loswerden, deshalb treffe ich mich mit ihm. Zwei Tricks sollen mir helfen, falls er mir wieder so nah kommt, dass er zwischen meine Beine greifen kann: Ich nehme eine Freundin mit und stelle mich krank. Wenn mir schlecht ist, muss ich bestimmt nicht knutschen. Das Treffen ist kurz, ich bestelle Kakao und schaue leidend, die Verabschiedung peinlich, weil er nicht weiß, was ich will und ich es ihm nicht sagen kann.

„Küsst euch!“, ruft meine Freundin, verräterisch wie meine Brüste, die mir helfen sollen und stattdessen nur Ärger machen. Jetzt, wo ich offiziell ein Mädchen bin, muss ich mich wie eines verhalten. Nicht negativ auffallen und die Gefühle anderer über meine stellen, damit ich, wenn ich schon kein toller Mann sein kann, wenigstens höre, dass ich eine tolle Frau bin. Ich küsse den 20-Jährigen, um seine Gefühle nicht zu verletzen. Ein bisschen verletze ich meine eigenen. Ich spüre ein Echo von Nacktschnecken im Mund. Mein Körper ist mein Feind. Ich misstraue ihm mehr als denen, die ihn benutzen, denn ich kann ihm nicht aus dem Weg gehen. Übrigens hat sich Nils nicht wegen meiner Brüste in mich verliebt, er wollte sie nur anfassen. Das will der 20-Jährige auch, denn er ruft wieder an. Ich will nicht mit ihm sprechen, ich mag ihn nicht, außerdem läuft gerade die zweite Staffel von Popstars im Fernsehen. „Ich will das sehen“, erkläre ich. Der Grund ist besser, weil er nicht mit ihm oder meinem Körper zu tun hat, sondern mit meinen Träumen, Sängerin zu werden. Für ihn ist der Grund schlecht, weil ich meine Bedürfnisse über seine stelle. „Sag doch, wenn du nicht willst. Wir müssen uns nicht mehr sehen!“ Er ist so beleidigt, dass er nie wieder anruft, ein ziemliches Glück. Das nächste Mal verletze ich ihn früher.

© Jane Steinbrecher 2022-06-03

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