Die Erdpyramiden am Ritten

Eva Filice

von Eva Filice

Story
Ritten-Lengmoos 2024

Flexibilität aufgrund des instabilen Wetters im Bereich der Seiser Alm ermöglichte uns einen wunderschönen ereignisreichen Tag. Kurz entschlossen entschieden wir uns mit dem Bus nach Bozen zu fahren, wo regenfreies Wetter zu erwarten war. Die kurvenreiche Straße bot interessante Blicke in das Eisacktal.

Von Bozen brachte uns die Rittner Seilbahn in 12 Minuten nach Oberbozen, auf das 1200 m hoch gelegene Hochplateau Ritten, das zwischen Sarntal und Eisacktal liegt. Von dort zuckelte die Rittner Schmalspurbahn in 20 Minuten bis Klobenstein. Entlang des gut ausgewiesenen Weges marschierten wir eine gute halbe Stunde nach Lengmoos, erst durch den Ort und dann teilweise entlang der Straße. Das letzte Stück des Weges führte durch den Wald und von Weitem waren sie schon zu erkennen: die höchsten Erdpyramiden Europas.

Staunend näherten wir uns dem fantastischen Naturschauspiel. Unzählige von bis zu 30 m hohe kegelförmige Säulen aus festem eiszeitlichen Moränenschutt tragen einen großen Stein an der Spitze. Entlang des Weges wird auf Schautafeln sehr anschaulich die Entstehung der Erdpyramiden dargestellt. Das leicht erodierbare Gestein, meist mit lehmigem, feinkörnigem Untergrund, enthält auch größere Steine. Die verfestigten Moränenablagerungen in steilem und windgeschütztem Gelände formen durch abwechselnde Regenphasen und Trockenzeiten im Laufe von mehreren tausend Jahren die Erdpyramiden. Der Regen verursacht durch Auswaschung Rillen im Hang, in Trockenzeiten verhärtet das Material und bildet widerstandsfähige Flanken. Der Stein wird durch das Regenwasser freigelegt und bildet ein Dach für das darunterliegende Material. Wenn der Deckstein das Gleichgewicht verliert, stürzt er ab, und die Erdpyramide ist dem Regen und somit dem Verfall ausgesetzt. Während die eine Erdpyramide langsam erodiert, formen sich an anderer Stelle in weiteren tausend Jahren neue Erdkegel. Diese geologischen Naturdenkmäler können von mehreren Aussichtsplattformen beobachtet und bewundert werden.

Beim Anblick dieser schmalen sich nach oben verengenden Säulen fällt mir die Sagrada Familia in Barcelona ein. Ob Antoni Gaudí sich für seine Basilika die Erdpyramiden als Vorbild genommen hatte? Beim Beachten dieses Naturschauspiels spürte ich mich wie in einer Kathedrale der Natur, die mir Bewunderung und Respekt abverlangte. Meine Gedanken erfassten diese Realität als Wunder der Natur, die mir auch Hinweise auf meine Vergänglichkeit zeigt. Die Relation der Zeit, des Gefühls für die Zeit, kam mir in diesem Moment abhanden.

Und dann betörte mich noch die Aussicht auf das Bergpanorama. Mit dem blauen Himmel als Hintergrund erkannte ich die Seiser Alm, den Schlern mit seinen beiden Türmen, den Langkofel und den Plattkofel sowie den Rosengarten in der Ferne. Dankbar für den Anblick dieser wunderschönen Bergwelt, für das Erleben der Naturschönheiten in Ruhe und vertiefender Ergriffenheit kam mir ein Satz aus einer Südtiroler Zeitschrift in den Sinn: „Wir alle brauchen eine tägliche Dosis an Schönheit, denn dadurch wird die Welt zu einem besseren Ort.“


© Eva Filice 2024-06-30

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Reise
Stimmung
Abenteuerlich, Emotional, Informativ, Reflektierend
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