Die hässlichste Stadt der Welt

Yara Kiefer

von Yara Kiefer

Story

“Will der liebe Gott dich strafen, schickt er dich nach Ludwigshafen.” Ich verdrehe die Augen. „So hässlich ist unsere Stadt gar nicht.“ Meine Freunde schauen mich mit gerunzelter Stirn an und weist vielsagend auf den Berliner Platz. Ich seufze. Ja, die Innenstadt ist eine Baustelle, und das schon, seit ich denken kann. Irgendjemand hat in eine riesige Mall investiert, ist in der Mitte abgesprungen, und dann waren alle der Meinung, besagte Baustelle für ein paar Jahre einfach… naja, dalassen zu müssen, bis wieder ein neuer Investor kommt. Seit kurzem wird da sogar wieder gebaut, ein Plottwist, den ich nicht erwartet hätte. Ja, wenn man durch gewisse Gassen läuft, hat man des Öfteren den spontanen Drang, sich zu übergeben. Ja, die Walzmühle steht abgesehen vom Kino im Obergeschoss inzwischen ziemlich leer, und könnte vermutlich spontan genutzt werden, um einen Horrorfilm zu drehen. Aber „Was ist das Schönste an Ludwigshafen? Die Brücke nach Mannheim.“ Weit gefehlt. Ludwigshafen hat auch schöne Ecken. Der Ebertpark, in dem der Brunnen manchmal sogar in Betrieb ist. Die kleine Kirche neben meinem Haus, wo wir regelmäßig Gottesdienst halten. Die Stadtbibliothek mit Millionen von Büchern. Die Bar an der Ecke, die „Zwettwohnung“, wo ich zum ersten Mal in meinem Leben richtig betrunken war.Natürlich hat Mannheim breitere Straßen, ein Schloss und den Wasserturm, aber dafür trägt der Wind den Gestank der BASF meist zielsicher über den Fluss, wo er sich mit dem der Schokoladenfarbik mischt und alle Mannheimer stöhnen lässt.

“Aber die BASF steht bei euch”, wendet mein Freund ein. Ich hebe die Augenbrauen. “Tja. Ursprünglich sollte sie in Mannheim gebaut werden, aber die wollten sie nicht. Wegen dem Gestank. Aber der Wind steht eben auf unserer Seite. Nennt man Rache.” “Ah ja”, macht er. Wir holen uns einen Döner und setzen uns an den Brunnen, an dem die grauen Buchstaben L und U sich immer weiter im Kreis drehen. Die Stadt ist unheimlich leer, wie immer. Ich schließe die Augen und denke an Berlin und an Hamburg, an Nürnberg und München und Leipzig und all die anderen Großstädte, die ich in den letzten Monaten besucht habe… Der Smog und Lärm und die Läden der zwölf Standardketten und die Menschenmassen, die überall gleich waren. Alle Städte sind auf ihre Art magisch. Aber sie alle verschwimmen in meinem Kopf zu einer breiten Masse an Gebäuden und schmerzenden Füßen. In eine von ihnen werde ich bald gehen und darin vielleicht sogar eine neue Heimat finden. Ich bin siebzehn. Ich habe hier nur noch ein Jahr. Ich will die große weite Welt sehen, ich will jemand sein, und ich will endlich herausfinden, wer ich bin. Doch dann öffne ich die Augen wieder und weiß zumindest, wo mein zuhause ist. Also: Lasst mich euch von dem Ort erzählen, den ich bald für immer verlassen werde.

© Yara Kiefer 2022-11-03

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