von Chaosfrau
Alles beginnt ganz harmlos. Frau lernt in einem Gastgarten der etwas heruntergekommenen Art Mann kennen. Sie unterhalten sich bei einem kühlen Drink. Frau findet Mann interessant, charismatisch und gutaussehend, ein bisschen arrogant vielleicht.
Sie lässt sich bezaubern von seinem Charme und der Art, auf alles die passende Antwort zu haben. Von seinem Humor und Interesse an allem, was sie ihm über sich und ihre Welt erzählt. Ein echter Frauenversteher.
Aber irgendetwas irritiert sie an ihm. Ein ungutes, verwirrendes Gefühl, wenn er ihr beim Sprechen in die Augen schaut. Seine Worte stimmen nicht mit seinem Gesichtsausdruck überein.
Die innere Stimme warnt sie: „Da stimmt etwas nicht, verabschiede dich besser, so lange es noch geht!“
Sie schiebt ihre Bedenken mit einem schlechten Gewissen beiseite. Denkt, es liegt sicher an ihr. Sie sollte sich besser kein Urteil bilden, bevor sie ihn nicht näher kennt. Vielleicht ist er ja nur so arrogant, weil er wirklich so gut ist? Und selbstbewusst zu sein ist doch kein Verbrechen, oder?
Nach ein paar Treffen gesteht Mann völlig unerwartet, sich in Frau verliebt zu haben. Frau fühlt sich geschmeichelt und verliebt sich ihrerseits. Und wenn sie sich erst für etwas entschieden hat, gibt sie so schnell nicht auf.
Nach der ersten Phase der Verliebtheit und dem Gefühl, genau den Richtigen getroffen zu haben, jagt plötzlich eine böse Überraschung die andere. Alles, was sie ihm in den vielen Gesprächen erzählt hatte, verdreht er zuerst und verwendet es dann gegen sie.
Sie glaubt, im falschen Film zu sein. Erkennt ihn gar nicht mehr wieder und fragt sich, wo der Mann, der er vorher war, wohl geblieben sein mag. Sie versucht zu erklären, zu verstehen oder darüber hinwegzusehen. Mit mäßigem Erfolg.
Bald erhöht er den Einsatz und der Alltag ist geprägt von jeder Form der Gewalt. Die Art, an die man nur glauben kann, wenn man sie selbst erlebt hat. Ist ihm aber nach Frieden zumute, wechselt er wieder zum Frauenversteher.
Beklagt Frau sich über die schlechte Behandlung, erklärt Mann, sie denke sich das alles nur aus und soll doch bitte nicht so übertreiben. Oder er behauptet, sich daran nicht mehr zu erinnern.
Frau beginnt an ihrer Wahrnehmung und ihrem Verstand zu zweifeln. Sie hat Angst davor, verrückt zu werden und ist nur mehr ein Schatten ihrer selbst. Da ja alles ihre Schuld sein soll, bemüht sie sich noch mehr, unauffällig, angepasst und großzügig zu sein. Umsonst.
Es wird immer schlimmer, irgendwann kann Frau nicht mehr und beendet das, was Mann Liebe nennt.
Ich dachte lange, man kann sich doch nicht so in einem Menschen irren. Doch, man kann. Man kann sich das aber auch eingestehen und ein neues, besseres Leben beginnen. Ohne zurückzuschauen.
Alles leichter gesagt als getan.
Geholfen hat mir dabei am meisten meine innere Stimme, die mir zu jedem Zeitpunkt genau das Richtige geraten hat. Manchmal finde ich es noch schade, nicht früher auf sie gehört zu haben, aber überhören werde ich sie nie mehr.
© Chaosfrau 2020-07-26