Die kleine Ente und der eitle Frosch (Teil I)

Christina Lovas

von Christina Lovas

Story
Bodensee

Die kleine Ente schwamm eines Tages an den Rand ihres schönen Sees und watschelte fröhlich über eine Wiese. Sie lies sich leiten von Blättern, die der Wind in eine Richtung pustete und genoss die frischen Sonnenstrahlen des Morgens bei ihrem Spaziergang. 

Dann kam sie an einen grünen, kleinen Tümpel, der nicht an den großen See angeschlossen war. Im Wasser schwammen prächtige Seerosen und viele Fliegen surrten in der Luft herum. 

Die kleine Ente teste das Wasser zuerst mit ihren Waschelfüßen und lies sich dann hinein plumpsen. Gleitend trieb sie vorwärts und konnte schon bald das andere Ende des stehenden Gewässers erkennen. Die Seerosen wandten sich den Sonnenstrahlen zu, die durch das dicke Blätterdach in langen Fingern auf sie herab fielen und beachteten die kleine Ente nicht.

Da bemerkte sie auf einmal, wie ein großer, grüner Frosch sie beobachtete. Er thronte weit oben auf einem mächtigen Stein über den Tümpel und kaute an einem Grashalm in seinem Mundwinkel. 

Die freundliche Ente hatte gelernt, andere Tiere zu grüßen und so nickte sie auch dem Frosch zu, der daraufhin seine lange, glänzende Stirn in Falten legte. 

Ein kleiner Grashüpfer hüpfte munter am Rande des Tümpels umher und der Frosch deutete mit einem Blick auf ihn. Die Ente fragte den Frosch: „Möchtest du mir etwas zeigen?“ und der Frosch antwortete mit gedämpfter Stimme: „Schau dir nur mal den kleinen Grashüpfer an, wie er da am Rande meines Teiches herum hüpft. Die Grashüpfer gehören hier nicht hin, sie wohnen in der Wiese dort drüben, aber trotzdem kommen sie immer wieder hier her, weil ihnen mein Wasser so gut gefällt. Die Grashüpfer sind nicht besser wie die Grashalme, die im Wind wehen. Sie sind genauso hohl und überflüssig. Sie hüpfen den ganzen Tag von links nach rechts und erledigen nichts. Solche faule Zeitgenossen, pah, die finde ich fast schon eklig.“ 

Die Ente war verwundert über so viel Offenbarung und so viel Groll, den der Frosch gegen die Grashüpfer hegte.

„Hast du denn schon einmal mit einem Grashüpfer gesprochen?“, hakte sie nach.

„Das brauche ich gar nicht, ich weiß ganz sicher, dass sie alle samt dumm sind.“, posaunte der Frosch. 

„Wie kannst du nur so über andere urteilen, wo du doch selbst nicht frei von Fehlern bist?“, fragte die kleine Ente den hochnäsigen Frosch.

„Weil ich es einfach kann“, fügte er hinzu als er über den goldenen, halbmondförmigen Brillenrand von seinem Stein aus auf die schwimmende Ente herunter sah, „weil ich keine Fehler habe, kann ich sie bei anderen finden – das ist eine Gabe und ein Fluch.“

© Christina Lovas 2023-08-31

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Abenteuerlich, Hoffnungsvoll, Inspirierend, Unbeschwert, Reflektierend
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