Die letzte Dampflok

Kreative-Schreibwelt

von Kreative-Schreibwelt

Story

Die Nacht war dunkel, als die „Donnerstahl“ unbeirrt durch das unwegsame Gelände preschte, als ob sie wüsste, dass es ihre letzte Fahrt sein könnte. Mit ihren rostigen Kesseln und knarzenden Rädern war sie aber mehr als nur eine Maschine; sie war ein lebendiges Relikt einer Ära, die im Begriff war, ausgelöscht zu werden. Die letzte Dampflok durchdrang die Dunkelheit wie ein trotziger Hammer, der gegen das Unvermeidliche schlug.

Die „Donnerstahl“ war keine Lok mehr, sie war eine brüllende Riesin, die mit jedem Schnaufen Widerstand gegen den technologischen Fortschritt leistete. In der Ferne konnte sie bereits das scharfe Heulen der Verfolger hören. Die neuen, elektrisch betriebenen Züge waren schnell, effizient, und gnadenlos. Ihr kaltes, metallisches Geräusch schnitt durch die Nachtluft wie ein Messer, das darauf abzielte, den letzten Atemzug der „Donnerstahl“ zu beenden.

Einst beherrschten Dampflokomotiven die Welt. Mit dem Geruch von Kohle, der in der Luft hing, die majestätischen, dampfenden Bestien, die sich wie Titanen durch die Landschaften wälzten, war es eine Zeit, in der die Maschinen noch eine Seele hatten. In der der Fortschritt langsam und würdevoll voranschritt. Dampfzüge waren nicht nur Transportmittel, sie waren lebende, atmende Symbole menschlicher Kraft und Beharrlichkeit. Doch das war lange her. Jetzt waren sie Relikte einer Zeit, die die Welt vergessen wollte.

Die „Donnerstahl“ ächzte unter dem Druck. Das Tal war nicht mehr weit. Ein versteckter Ort, der auf keiner Karte verzeichnet war, wo die Zeit angeblich stillstand und die Maschinen für immer bestehen blieben. Es war eine Legende, die sie verzweifelt hoffte zu finden. Doch die Verfolger kamen immer näher, ihre Lichter durchbrachen die Dunkelheit wie drohende Speere. Aber die „Donnerstahl“ kämpfte weiter, ihr Herz aus Stahl und Feuer trotzte den Anforderungen, die an ihr gestellt wurden. Als ob sie selbst den Willen hatte, durchzuhalten, noch ein letztes Mal.

Doch die Geschwindigkeit der elektrischen Züge war unaufhaltsam. Mit einer Kälte, eine Leere, die alles verschlang, was einst war. Sie wusste, dass der Fortschritt unabwendbar war, aber dass das Vergangene nicht vergessen werden sollte. Dass sie mehr war als nur eine Erinnerung – sie war ein Symbol, ein Anker für jene, die glaubten, dass der Wandel zu schnell, zu rücksichtslos geschah.

Endlich! Ein schmaler Spalt in den Bergen, verborgen und schwer zugänglich. Die „Donnerstahl“ heulte noch einmal voller Kraft auf, als ob sie sich mit einem letzten Schrei gegen das Unausweichliche stemmte. Die Verfolger waren jetzt direkt hinter ihr. Doch sie stieß ein letztes, ohrenbetäubendes Pfeifen aus, das durch die Berge hallte und verschwand im Dunkel des Tals. Die Lichter der Verfolger verweilten in der Ferne, bevor auch sie im Schwarz der Nacht erloschen. 

Das Tal lag still. Die „Donnerstahl“ atmete nicht mehr, und die Zeit schien stehen geblieben zu sein. Der Fortschritt war unaufhaltsam, aber an diesem verborgenen Ort würde die Erinnerung an das, was war, niemals verschwinden.

© Kreative-Schreibwelt 2024-08-28

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional, Hoffnungsvoll, Reflektierend