Gleich nach Ende der Lehrzeit erwarb er sie: die Nähmaschine einer renommierten Firma. Sie war viel zu teuer für das knappe Verdienst eines Schneidergesellen. Lange hatte er abzustottern. Als er ein Jahr vor seinem achtziger starb, war es, als hätte der Tod die beiden getrennt, als wäre er nur kurz aufgestanden und wollte gleich wieder zurück zu seiner Maschine, die ihn ein Leben lang begleitet hatte.
Wann immer ich Hans besuchte und ich tat es oft denn er war für die Familie ein echter Freund geworden, wann immer ich ihn also besuchte saß er an der Maschine, die inzwischen elektrifiziert worden war; mit dem rechten Knie schaltete er den Motor, mit dem linken Fuß auf dem Pedal kontrollierte er das Schwungrad und mit beiden Händen positionierte er den Stoff unter die Nadel. Maschine und Hans waren eine untrennbare Einheit, aufeinander angewiesen.
Ein paar Mal haben wir die Maschine zerlegt und liebevoll in einer Holzkiste verpackt. Im istrischen Hafenort Umag wurde eine Segelregatta veranstaltet und ein oberösterreichischer Segelhersteller – und mehrfacher Olympiateilnehmer – schickte eine meisterliche Fachkraft zum Service hin.
So landeten wir in einem kleinen Zelt an der Mole der Marina von Umag in unserer kleinen Segelschneiderei. Für den Meister gab es neben den Unkosten auch noch ein kleines fixes Entgelt, für den Gehilfen, also für mich, war keine Dotierung vorgesehen. Ich entwickelte allerdings ein eigenes Geschäftsmodell: ich verkaufte die Gunst meines Meisters. Wenn die Regatten Teilnehmer mit ihren Rissen in der Besegelung an Land kamen musste schließlich eine Reihung vorgenommen werden. Der Meister kann nicht alle gleichzeitig bedienen. Wenn nun Argumente für eine Vorreihung pekuniär unterlegt waren – sollte man da ablehnen?
Sie gaben mir das Geld schließlich mit einer gönnerhaften Berechnung, die man nur mit scheißfreundlich umschreiben kann. Und da ist die Toleranzschwelle abhängig von der gebotenen Summe.
Einmal kam ein Münchner mit einem riesigen Wohnmobil aus dessen Heckklappe ein Kabrio herausquoll. Mit dem suchte er unser Zelt auf um aufgeregt zu schildern, dass in der Polsterung seiner Motorjacht ein Riss sichtbar geworden ist der ganz schnell, am besten gleich… Jedes Wort untermauerte er mit einem Griff in die Brieftasche und ich wollte ihn nicht unterbrechen. Ich hatte ihm doch nur sagen können, dass wir gleich Zeit haben. Wäre doch unhöflich gewesen.
Mit meinem Geschäftsmodell hatte ich jeden Tag so viel beisammen, dass es für ein opulentes Abendessen in einer der vielen Hafenkneipen reichte. Einfach großartig – und alles verdankten wir nur der alten Maschine.
Als der Tod Hans und die Maschine trennte stellte man sie beim Kondukt im Gasthaus auf. Das ist jetzt auch schon 15 Jahre her und ich erfuhr durch Zufall, dass ein Segelmacher die Maschine erworben hatte und sie täglich benutzt.
Auch er fährt regelmäßig nach Umag – zur Regatta. Gehilfen hat er schon – leider.
© Wolfgang Ferdinand Vogel 2020-09-27