Ben führte Rose zum Schloss. Die Sonne verschwand bereits hinter den düsteren Wolken, und tauchte die Gegend in ein gespenstisches Licht. Sie kamen an einst blühenden Beeten vorbei. Die Rosenranken hingen leblos und ein bedrückendes Schweigen lastete über dem Schloss. „Wo zum Teufel bringst du mich hin?“ In Roses Stimme schwebte Besorgnis. „Zur Rosenkönigin. Sie ist gütig und hilfsbereit.“ Ben lächelte zärtlich. Eine Weile später erreichten sie das düstere Schloss und gingen durch die verfallenen, leeren Hallen. Im Thronsaal erwartete Rose ein verstörender Anblick. Die Rosenkönigin, einst majestätisch und bildhübsch, war nur noch ein Schatten ihrer selbst, eine groteske Gestalt aus Rosen und verwelktem Fleisch, mit Augen voll Hass und Verzweiflung. Einzig ihre Krone zeugte von ihrer feeischen Macht. „Du bringst mir endlich die Auserwählte?“, krächzte sie. Ein Schauer lief Rose über den Rücken. Schweinemutanten stürmten herbei und rissen sie fort. Entsetzen ergriff Ben. „Lasst sie los!“ Seine Worte wurden von der kalten Stimme der Königin harsch unterbrochen. „Dein Platz ist an meiner Seite, nicht an ihrer!“ Ben sah hilflos zu, wie Rose in die Dunkelheit des Schlosses gezerrt wurde. Die Rosenkönigin lachte. „Sieh nur, wie das Ödland wächst und gedeiht. Die Auserwählte kommt zu spät. Sie kann das Märchenreich nicht mehr retten.“ Ben verließ den Thronsaal. Verzweiflung durchdrang ihn. Hatte er Rose in den Tod geschickt? Er würde sie befreien, koste es, was es wolle. Also schlich er nach Einbruch der Nacht durch die düsteren Gänge, fest entschlossen seinen Fehler zu korrigieren. Rose war enttäuscht von seinem Verrat, ihre Augen waren voller Schmerz. „Ben, wie konntest du nur?“ Sie klang verletzt. Er beschwor sie. „Rose, bitte glaub mir, ich wusste nicht, dass sie dich gefangen nehmen will, sonst hätte ich dich niemals zu ihr gebracht.“ Rose wollte ihm glauben, denn sie liebte ihn und Ben schien unendlich kummervoll. „Einst war sie gütig und hilfreich. Heute ist sie wohl ein Monster, dessen Seele vom Hass der Träumer vergiftet wurde.“ Sie merkten nicht, wie die Rosenkönigin auftauchte, umgeben von welken Rosenranken. Mit einer Handbewegung wurde Ben von ihnen ergriffen und an die Wand gedrückt. „Du kleiner, mieser Verräter“, krächzte die Königin. Ben kämpfte verzweifelt gegen die Ranken. „Niemals werden wir uns deinem finsteren Willen beugen!“, rief er. Die einstige Königin des Märchenlandes beugte sich unterdessen über Rose, ihre spitzen Finger griffen nach ihr. „Dein Geheimnis“, krächzte sie, „Gib es mir! Wie kannst du wandeln, wo andere nur träumen?“ Rose kannte die Antwort nicht und wand sich vor Entsetzen und Schmerz. Auch Ben schrie qualvoll auf. Die Königin hielt fasziniert inne. „Ich kann es spüren, du hast einen Traumstein.“ Mit letzter Kraft sprengte Ben die Ranken und sprang auf die Königin zu. In seinen Augen loderte Zorn. Er entriss ihr das Schwert und mit einem einzigen Hieb trennte er der Rosenkönigin den Kopf vom Rumpf. Ihr Leichnam sackte in sich zusammen, die Dornen verdorrten zu Staub. Dann befreite er Rose, hob sie auf und küsste sie sanft. In der Ferne hörten sie das Grunzen und Quieken der Schweinemutanten. „Wir müssen hier weg“ flüsterte Rose. Ben kniete neben der toten Königin des Märchenlandes. Das Gemurmel der näherkommenden Wachen wurde immer lauter. Rose drängte zum Aufbruch. Ben löste sich vom Leichnam und steckte heimlich die Krone ein. Gemeinsam rannten sie durch den verwüsteten Garten.
© Stefan Tomaschitz 2024-03-13