von anipan
die wohl lustigsten, liebsten und einfallreichsten briefe erhielt ich von mark. ich war sechzehn, er vielleicht sechzehn einhalb und wohnte über dreißig kilometer von mir entfernt in einer kleinstadt. somit ergab es sich, dass wir uns nur am wochenende sehen konnten. und gleich nach dem gemeinsam verbrachten wochenende schrieben wir uns liebesbriefe, als ob wir auf ewig getrennt blieben. er hatte eine ganz spezielle art süße briefe zu schreiben.
nach dem ersten verstand ich überhaupt nicht, was er damit meinte mit: „nachdem ich deine grüße hörte, habe ich mich verändert. ich habe abgenommen und bin jetzt nur noch dreieinhalb zentimeter dick. denn ich habe mich so gefreut und weil ich in einem niedrigen raum war, klebte ich bereits an der decke.“ keine ahnung, was er damit ausdrücken wollte, jedoch irrsinnig süß fand ich, wie er weiters schrieb, dass er bald an eine herz-lungenmaschine angeschlossen werden müsse, wenn das so mit uns weitergeht. und dass er sich teilweise wie eine türe ohne schnalle vorkommt. ich fehle ihm irgendwie. er stellte mir auch die frage, ob ich ihm ein fotografisches abbild von mir schicken oder bringen könnte. bringen wäre ihm viel lieber. zum schluss entschuldigte er sich noch für den total blödsinnigen brief, aber leider sei er ferngesteuert und seine antenne sei gebrochen.
Im zweiten brief schrieb er, er könne nicht schlafen, sein beatmungsschlauch störe ihn etwas. „dieses problem nehme ich ja gerne auf mich, da es ja wieder wegfällt, wenn ich dich wieder sehe!“
„so bitte setz dich wieder, dass dich die welle von meinen fragen nicht umwirft und dich fortspült. Es wäre sehr schade um dich und mich, weil dann würde mir nichts mehr helfen!“
und weiter schrieb er: „ich weiss nicht, ob ich das aushalte bis zum sonntag, bis wir uns wiedersehen. Jetzt kommt was ganz altmodisches: bitte, bleib mir treu! Ja? Das wäre schön!!“
das war ein frommer wunsch von ihm, den er selber aber net so genau nahm, wie ich in den nächsten briefen erfahren musste. Leider!
© anipan 2021-03-25