Die Traumwelt – Teil II

Roswitha Frisch

von Roswitha Frisch

Story

Ich versuche das Bild auf die Seite zu schieben. Ich will hierbleiben, frei von allen Sorgen und Ängsten! Aber das Bild bleibt. Und auf einmal wird es mir unheimlich. Das gute Gefühl ist verschwunden, ist einem Gefühl dumpfer Bedrohung gewichen. Irgendetwas stimmt nicht. Hier ist kein Lebewesen außer mir – von den Pflanzen abgesehen, aber auch die sind nur Schemen. Wo bin ich hier bloß hingeraten?

Ich fühle mich auf einmal ganz hohl und erloschen, fühle mich schuldig, wie kann ich nur die Kinder im Stich lassen! Mich erfasst Grauen, ich will nur mehr weg aus dieser trügerischen Idylle. Weg von dieser Scheinwelt, die mich verführen will.

Ganz tief in meinem Inneren glimmt ein Licht auf. Es leuchtet nicht hell, aber es strahlt Zuversicht aus und dieses Alles-wird-gut-Gefühl. Ich mache kehrt, laufe und laufe, bis ich wieder bei dem Zollhaus bin. Diesmal sind viele Menschen dort im Innenhof, eine Gruppe scheint gerade angekommen zu sein. Mein Bruder ist auch dabei. Ich erzähle ihm von meinem Eindruck jener Welt, die dort hinter dem Tor lauert. Ich kann ihn leicht überreden, mit mir umzukehren, denn er war ohnehin unschlüssig, ob er wirklich weitergehen will. Aber da tritt eine Frau zu uns und rät uns eindringlich, hier zu übernachten, schließlich ist es schon spät und im Wald stockfinster. Wir werden den Pfad nicht finden, in die Abgründe stürzen und jetzt im Winter lauern dort auch noch die Wölfe. Mein Bruder will das Angebot schon annehmen, aber ich spüre, das ist eine Falle. Wer hier übernachtet, gerät in die Fänge dieser Trugwelt. Was überlegt er so lange? Ich kann nicht mehr warten und laufe allein los. Zurück durch den dunklen Wald, auf dem schmalen Steig. Der Schnee mildert die Schwärze der Nacht. Ich laufe vorbei an den Abgründen, ohne zu zaudern. Hinter mir heulen die Wölfe, ich sehe ihre huschenden Schatten, aber ich achte nicht auf sie und sie verschwinden wie Traumbilder. Völlig außer Atem aber heil komme ich bei dem Städtchen an, hier holt mich auch mein Bruder ein. Nun sind wir beide in Sicherheit.

Ich atme tief durch und trete durch das Stadttor ein. Ich bin daheim. Hier gehöre ich her. Diese grauen Mauern, die Steinhäuser, die Menschen, die hier leben – sie alle gehören zu meinem Leben. Das mir auf einmal bunt und lebenswert erscheint. Am Morgen, wenn die Kinder aufwachen werden, werde auch ich da sein. Alles wird sein wie immer und doch ganz anders. Besser.

© Roswitha Frisch 2023-03-20

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