von PoeSy
In meiner Volksschulzeit mussten wir jedes Jahr in der Schule ein Weihnachtsgedicht lernen, um es dann daheim vor dem Christbaum aufsagen zu können. Einmal – ich denke, ich war etwa 10 Jahre alt – war es “Die Weihnachtsmaus” – ein witziges Gedicht mit sehr vielen Strophen. Fleißig übte ich, und einige Tage vor dem Hl. Abend saßen schon für die Weihnachtfeier in der Schule alle Strophen perfekt.
Schon von Natur aus neugierig, versuchte ich auch dieses Jahr, das eine oder andere, von meinen Eltern gut versteckte Geschenk, vor Weihnachten zu finden. Ich stöberte Kästen und Kommoden durch, war aber nur mäßig erfolgreich: ein Buch mit Tiergeschichten blieb meine einzige Entdeckung. Das hatte immerhin den Vorteil, dass die Spannung bis zum 24. Dezember aufrecht blieb!
Dann war er da, der Tag auf den wir alle so sehr gewartet hatten. Mein Papa hatte, wie immer, beinahe den ganzen Tag unseren Christbaum bis zur Perfektion geschmückt. Wir hatten tatsächlich jedes Jahr den schönsten Baum, seit es Christbäume gab… Ich hatte Mama beim Vorbereiten des Essens, den Tisch zu decken, und das Zimmer zu dekorieren geholfen. Der Duft frischer Tannenzweige erfüllte die ganze Wohnung, aus dem Radio klangen Weihnachtslieder. Im Fernsehen gab es „Pippi Langstrumpf“ und anderes Kinderprogramm.
Um 17.00 gingen wir in die Kirche zur Christvesper, anschließend gab es bei uns zu Hause Bescherung. Wir sangen Weihnachtslieder, ich gab die “Weihnachtsmaus” zum Besten! Mein Bruder hatte seine Freundin mitgebracht, ich durfte mich also nicht blamieren. Die Erwachsenen lachten über das lustige Gedicht – vielleicht auch über die Art, wie ich dieses vortrug! Jedenfalls lief alles gut, ohne auch nur ein einziges Mal einen “Hänger” zu haben.
Nach meinem gelungenen Auftritt durfte ich, als jüngstes Familienmitglied die Päckchen verteilen. Zum Schluss packte ich dann meine Geschenke aus. Trotz aller Gewissenhaftigkeit vermisste ich die Tiergeschichten! Ich absolvierte noch einmal eine Kontrollrunde um den Christbaum, schaute auch unter dem Baum genau nach, sogar zwischen den großen Ästen ganz unten suchte ich. Da war kein Buch. Jetzt waren die anderen auf mich aufmerksam geworden, und irgend jemand in der Runde fragte: “Suchst jetzt die Weihnachtsmaus?” Ich konnte daran gar nichts witzig finden, und wandte mich daher kurz entschlossen an meine Mutter: “Da fehlt 1 Buch! Das hat wohl die Maus gefressen!” Erstaunt blickte mich Mama an, Papa schien ohnehin nicht zu wissen, wovon die Rede war. “Welches Buch?”, fragte Mama. “Die Tiergeschichten, die im Kasten versteckt sind!”, klärte ich sie auf. Alle lachten. Hier verstand wohl niemand den Ernst der Lage! Meine Mutter sprang auf, eilte zum Kasten, und entnahm diesem mein (!) Buch! “Jessas na!”, rief sie lachend, “auf des hab´ i ganz vagessn. Guat, dass du so a neugierige Nasn bist!”
Ich hatte absolut gar kein Verständnis dafür, dass alle das schon wieder so lustig fanden…
© PoeSy 2020-12-06