Die Zigarette danach

Ella Strübbe

von Ella Strübbe

Story

Ich stehe an einem Küchenfenster irgendwo in Tempelhof und blase den Rauch hinaus in die dunkle Nacht. Draußen prasselt der Regen auf die Mülltonnen im Innenhof. Eine Katze irrt über den Rasen vorbei an einem liegen gelassenen Spielzeug-Feuerwehrauto. Ich nehme einen letzten tiefen Zug und gebe die Kippe an die Frau mir gegenüber weiter. Unsere Hände berühren sich, meine nackten Arme zittern. „Ist kalt geworden, hmm?“, stellt sie fest. Ich nicke und warte stumm, bis ich wieder am Zug bin. Stille, nur das Rauschen der Autos im Hintergrund und ihr schwerer Atem. Mein Herz schlägt wie wild. Ihre Existenz verwirrt mich, verwirrt meine heterosexuelle Identität. Ich starre sie immer wieder für mehrere Sekunden an, bemühe mich, dass es ihr nicht auffällt. Ihr Gesicht wirkt noch bleicher, ihre Augen noch Blut unterlaufener. Was sie wohl wach hält, frage ich mich. Komisch, eigentlich weiß ich nichts über sie, außer welchen Tabak sie raucht – Pueblo.

Die Türklinke klickt, ein Mann in Unterhose lehnt im nächsten Moment im Türrahmen. Ich bemerke ihn erst, als er nach ein paar Schritten hinter mir steht und meinen nacken Oberarm berührt: „Ich hatte mich schon gefragt, wo du bleibst.“ Sein Blick irrt von mir zu seiner Mitbewohnerin und wieder zurück. „Mir ist der Tabak ausgegangen“, sage ich zur Erklärung. Ich drücke die Zigarette aus und lasse mich zurück in sein Zimmer führen. Mein Blick irrt zum Abschied noch einmal in Richtung Küchenfenster. Seine Mitbewohnerin hat das Gesicht abgewandt, sich eine weitere Zigarette angezündet. Schade eigentlich, geht es mir durch den Kopf, während die Zimmertür ins Schloss fällt und er mir das übergeworfene T-Shirt über den Kopf zieht. Selten habe ich beim Sex so sehr an eine andere Person gedacht wie in dieser Nacht.

Gut zwei Jahre später stehe ich an meinem eigenen Küchenfenster irgendwo in Prenzelberg und blase den Rauch hinaus in die dunkle Nacht. Ich nehme einen letzten tiefen Zug und will die Zigarette weitergeben, doch da ist niemand. Ich habe sie nie wieder gesehen und manchmal, da denke ich noch an sie. Wenn ich mit der U6 zum Volleyball-Training fahre und an der Ullsteinstraße den Bahnsteig nach ihr absuche. Wenn ich am Tresen vom Wirtschaftswunder, ihrer Stammkneipe Ecke Mehringdamm, sitze und die Türklinke klicken höre. Wenn ich auf dem Tempelhofer Feld Rollschuh laufe und mich eine Radfahrerin stürmisch überholt. Okay, vielleicht ist manchmal untertrieben. Vor allem jetzt, da der Frühling das graue Berlin bunt färbt, denke ich immer öfter an sie. Ich habe noch nie eine Frau geküsst und fühle mich eigentlich auch nicht zu Frauen hingezogen. Eigentlich. Eigentlich wollte ich auch mit dem Rauchen aufhören. Ich drücke die Zigarette aus und fühle mich plötzlich allein. Ich horche in mich hinein, während der Wind sich um meine nackten Arme legt. Sehne ich mich nach ihr oder nach menschlicher Nähe? Ich schlinge meine Arme um mich selbst, halte mich fest und schließe im nächsten Moment das Fenster.

© Ella Strübbe 2022-03-14

Hashtags