Die Zigarre aus Kuba

Lotte Maria Kaml

von Lotte Maria Kaml

Story

Sie hätte mich fast umgehauen. Nicht, weil ich sie geraucht habe, nein … Es war so: Wir hatten einen neuen Mitarbeiter. Michael war ein schmales, blasses Bürschchen. Er hatte gerade seine Lehre abgeschlossen und wollte erste Erfahrungen im Servicebereich eines guten Hotels machen. Er war freundlich im Umgang mit den Gästen, interessiert, lernwillig und zuverlässig. Zumindest am Anfang.

Nach einer Weile schlich sich eine gewisse Lässigkeit bei ihm ein. Beim unbeliebten Frühdienst um 7 Uhr fehlte meistens einer. Auffällig oft war es der Michi. Sein Glück war, dass man ihm nicht lang böse sein konnte. Auf die Rüge: „Michi! Du bist ja schon wieder kas-weiß, geh endlich mal schlafen!“, versprach er mir hoch und heilig, eine Disco-Pause einzulegen.

An solchen Tagen entwickelte er einen enormen Ehrgeiz. Sogar den Staubsauger nahm er freiwillig zur Hand. Schließlich verkündete er, er müsse ab jetzt sowieso kräftig sparen. „Ich will nach Kuba fliegen. Die Zigarren dort!“ Er verdrehte sehnsüchtig die Augen und machte eine geringschätzige Handbewegung zum Humidor, der noch hinter uns am Beistelltisch stand. „Da können wir nicht mithalten, das ist doch nur Standard-Zeug!“ Ganz unrecht hatte er damit nicht, aber die Nachfrage bezüglich Zigarren hielt sich bei uns in Grenzen.

Die Saison war zu Ende und der Michi flog nach Kuba. Als er zurückkam, lud er uns auf einen Drink ein. Stolz zeigte er sein Fotobuch herum. Dann griff er in die Tasche, die er neben sich abgestellt hatte. Ein kleines Kästchen kam zum Vorschein. Er öffnete es, nahm eine Zigarre heraus und legte sie auf den Tisch. Mit Leidenschaft in der Stimme erklärte er uns: „Das da, das ist eine Montecristo Nr. 2! Aus ganzen Tabakblättern gerollt. Per Hand! Eine habe ich mir geleistet, mehr war nicht drin!“

Beinahe ehrfürchtig griff er in die Kiste und holte noch etwas hervor. „Ein Zigarrenschneider, echt Silber!“ Angespornt von unseren erstaunten Blicken bereitete er sich sorgfältig auf das Rauchvergnügen vor. Unter konzentriertem Drehen zündete er das Prachtstück mit einem Streichholz an. So etwas Profanes wie ein Feuerzeug lehnte er entrüstet ab.

Eines muss ich schon sagen: das Aroma dieser Luxusmarke war einmalig. Erdig, würzig, keine Rede vom Gestank billiger Produkte. Aber dann fiel mir auf, dass der Michi auffallend schweigsam geworden war. Die attraktive Urlaubs-Bräune schien rasant zu verblassen, kleine Schweißperlen erschienen auf seiner Stirn.

Bei mir läuteten die Alarmglocken. „Ich glaub, du brauchst frische Luft!“ Schnell stand ich auf. Keine Sekunde zu früh. Dem Zigarren-Fan war nicht ganz gut. Schwankend fiel er auf meinen Rücken, glücklicherweise fing mich einer der Kollegen auf. Sie begleiteten ihn vor die Tür. Das war das Ende einer großen Leidenschaft. Vielleicht hätte er daran denken sollen, dass man Zigarren besser nicht inhaliert. Das war ihm in seiner Euphorie wohl entgangen. Aber – ich finde, eine richtig gute Zigarre hat schon was …

© Lotte Maria Kaml 2020-09-19

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