von Johann Jäger
Vor 53 Jahren wurde in Zell am See eine junge Frau in ihrem Zimmer von einer Kollegin im Bett liegend tot aufgefunden. Schon kurz nach unserer Besichtigung des Tatortes und ärztlicher Untersuchung der Verstorbenen war aufgrund der Spurenlage klar, dass das Opfer von einem Unbekannten zuerst mit den Händen und dann mit einer Strumpfhose erstickt worden war. Wir forderten die Mordgruppe der Kriminalabteilung an. Ich wurde den Ermittlern zu deren Unterstützung zugeteilt.
Während die Kriminaltechniker den Raum der Ermordeten bearbeiteten, führte ich mit mehreren Beamten Befragungen der Hausbewohner durch, wobei sich rasch eine echte Spur ergab.
Der Mieter eines anderen Zimmers erzählte uns, sein Bruder, der uns bereits als gewalttätig amtsbekannt war, habe die vergangene Nacht bei ihm verbracht und sei, als er zur Arbeit fuhr, allein zurückgeblieben. Seither habe er ihn nicht mehr gesehen.
Wir begannen sofort mit der Fahndung – noch nicht wissend, welchen Volltreffer wir in kürzester Zeit landen würden – und gemeinsam mit dem Leiter der Mord – Gruppe konnte ich den Mann in einem Kaffeehaus aufstöbern. Wegen dringenden Tatverdachtes nahmen wir ihn fest, da er trotz frischer Abwehrverletzungen an Nase und Hals jeden Zusammenhang mit der Tat leugnete. Für die Nacht brachten wir ihn in den Verwahrungsraum des Gendarmeriepostens Zell am See.
Am nächsten Tag wurde der Verdächtige zur Vernehmung geholt, die vom Leiter der Mordgruppe mit meiner Unterstützung erfolgen sollte. Und da geschah das Unglaubliche: Kaum hatte er den Raum betreten, machte er zwei rasche Schritte und flog nach einem Hechtsprung mit angelegten Armen durch das geschlossene Doppelfenster. Es krachte enorm. Der Mann landete im Freien auf der viereinhalb Meter tiefer gelegenen Asphaltdecke der Garagenzufahrt. Damals gab es für Vernehmungsräume noch keine Gitter.
Wir rannten aus dem Haus und konnten ihn, da er durch die harte Landung ziemlich benommen war, sofort wieder fassen. Über Anordnung des Landesgerichtes wurde der Verletzte in die Krankenstation des Gefangenenhauses Salzburg überstellt.
Eine Woche später legte er ein Geständnis ab. Er hatte nach seiner Übernachtung das Zimmer des Opfers mit einem Dietrich geöffnet und aus einer Geldbörse dreißig Schilling gestohlen, als die Tür aufging und er von der jungen Frau beim Diebstahl überrascht wurde. Um einer Anzeige zu entgehen, hatte er sie gewürgt und anschließend im Bett mit einer Strumpfhose stranguliert, bis sie tot war.
Der Täter wurde von einem Geschworenengericht zu 18 Jahren Kerker verurteilt. Nach einigen Monaten arbeitete er in der Küche der Haftanstalt, wo ihn eines Tages ein Mithäftling bei einer Streiterei mit einem Fleischermesser erstach.
Immer wenn ich – auch nach so langer Zeit – an der Garagenseite der Polizeiinspektion vorbeigehe, blicke ich zu einem bestimmten Fenster hinauf, durch das der Mörder damals fliehen wollte, und bedaure sein armes Mordopfer zutiefst.
© Johann Jäger 2019-11-10