Ein echtes Blind Date

Christine Ensinger

von Christine Ensinger

Story

Wer glaubt, ein Blind Date umschreibt das Treffen zweier Menschen, die einander nicht kennen,hat recht. Trotzdem gibt es in diesem Falle eine Steigerung des Merkmals des nicht Kennens.

Ich hatte eine Ehe von fast 18Jahren hinter mir, war allein und im Begriff, mein Leben mittels eines Studiums vollkommen umzukrempeln. Der magere Verdienst als Kindergärtnerin und die vier Kinder, die auch in der Ausbildung steckten, erleichterten nicht gerade dieses Unterfangen. Deshalb machte ich mich auch in Herzensangelegenheiten proaktiv auf die Suche und inserierte online frohgemut, einen neuen interessanten Menschen kennenzulernen.

Ich muss zugeben, es war abenteuerlich, was sich hier bot. Interessante, verzweifelte, selbstbewusste, schüchterne und arrogante Männer schrieben zurück, je nach Façon`.

Einer fiel durch seinen galanten, wirklich sehr zuvorkommenden Ton auf. Auch die Tatsache, dass er keine Rechtschreibfehler machte, war sympathisch. Nach zwei Wochen schriftlichen Austausches vereinbarten wir ein Treffen am Hauptplatz in einer nahegelegenen Kleinstadt.

Wie es der Teufel haben wollte, spazierten Eltern samt Nachwuchs aus meinem Kindergarten über den Platz. Fix nochmal, nirgends ist man ungestört…Es war offensichtlich, dass ich mich aufreizender als sonst angezogen hatte, mit High-Heels begegnet man sonst keiner Kindergartentante.

Es war wichtig, nicht ins Blickfeld der lieben Kleinen zu geraten, denn die würden gleich unverhohlen meinen Namen über den Platz rufen.

So verzog ich mich unauffällig in eine Hauseinfahrt und versteckte mich ein wenig im Winkel. Natürlich hielt ich Ausschau nach meinem Kavalier, aber es war nur ein Mann am Platz, der altersmäßig in Frage käme. Dieser hatte aber seine weißen Socken verdächtig straff über die Knöchel gezogen und diese steckten in offenen Sandalen. Na gut, dachte ich, er hat halt keinen besonders guten Geschmack.

Dann holte er einen Blindenstock heraus und tappte langsam über den Platz. Das erklärt die Socken, dachte ich und überlegte kurz, ob dies etwas ändere. Natürlich schämte ich mich über meine ersten Gedanken, aber seien wir ehrlich, jeder sortiert gedanklich die Eindrücke, die auf einen,oft unerwartet,einprasseln. Trotz Kindergarteneltern stolzierte ich mit meinen High-Heels auf ihn zu und sprach ihn an.

Wir setzten uns in ein Cafe´und es entwickelten sich interessante Gespräche. Vor allem die Tatsache, dass ich als angehende Lehrerin Details über seinen Werdegang samt Schwierigkeiten erfuhr, war ihm ein großes Anliegen. Es sprang kein Funke über und unsere Wege trennten sich nach diesem Treffen, aber im Nachhinein blieb mir diese Begegnung als potenzierte Form eines Blind-Dates in guter Erinnerung.

© Christine Ensinger 2021-08-17

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