Ein literarisches Mäuseabenteuer

Lena Gabel

von Lena Gabel

Story
  • Der Himmel leuchtet in seinen letzten dunklen Blautönen, bald wird es dunkel sein. Als die Tasse mit dem Kamillentee fast leer ist, seufze ich. Ich liege auf dem Sofa, krank und frustriert. Das geht nun schon seit Wochen so, und ich weiß mich kaum noch aufzumuntern.
    Schon alles gesehen, alles gelesen. Ich schließe die Augen für eine Weile und meine Gedanken fließen in einen Raum, den man nicht betreten kann, der nur für die Träumenden ist.
    Plötzlich klopft es. Aber wo? Ich bin verwirrt. Ein kleines Scharren, ein kleines Knacken, und eine kleine Maus hüpft aufs Sofa. Sie muss durch die Terrassentür gekommen sein. Sie zischt etwas in meine Richtung, und plötzlich ist sie nicht mehr klein, sondern ziemlich groß. Oder? Was ist das? Auf dem Sofa nehme ich kaum noch Platz ein, dafür ist das Kissen nun gigantisch. Die Maus und ich, wir sehen uns an und müssen lächeln. Hey, gar nicht so übel! Sie wirft mir einen Strick zu, und wir seilen uns gemeinsam vom Sofa ab. Plötzlich steckt die ganze Wohnung voller Abenteuer! Was tun wir als Erstes? Kekse stibitzen? Auf die große Palme klettern und die Aussicht genießen? Die Kissen herunterrutschen? Die Maus, die sich mir als Fred vorstellt, klopft mir aufmunternd auf die Schulter und wir huschen hinter mein Bücherregal. Da ist ein Loch, denke ich besorgt, doch da bin ich schon darin verschwunden und lerne die ganze Familie Maus kennen. Maus Mira und die Kleinen. Ich schaue an mir herab und fühle mich wohl in meiner Winzigkeit. Und kein einziges Husten entweicht mir! Keine Schmerzen! Ich hüpfe, und die kleinen Mäuse werden ganz aufgeregt. Gemeinsam beschließen wir, einen literarischen Spaziergang durch die Regale zu machen, von Leo Lionnis Frederick bis zu Steinbecks Von Mäusen und Menschen. Plötzlich erlebe ich meine Bücher aus einer völlig neuen Perspektive! Wir arbeiten uns an düsteren Graphic Novels wie Maus vorbei, die Zugmaus nimmt uns mit auf eine Reise zum Mausmeer. Inzwischen sind wir in den oberen Regalreihen angelangt. Der Blick von dort nach unten auf den Teppich lässt mich staunen! Was für eine Höhe! Doch für die Mäuse ist das alles kein Problem, sie sind so geschickt, wie sie von Buch zu Buch springen und leicht mit Hilfe ihres Schwanzes nach oben schwingen. Fred klopft gegen einen Buchrücken und lächelt voller Stolz: Die Mäusestrategie für Manager lese ich. Mira und die Kleinen tummeln sich zwischen den Kinderbüchern. Ich stolpere über eine alte Kassette, die sich hinter den Büchern versteckt hatte: Die Reisemaus. Doch wie die Zeit der Kassetten so endete auch unser literarisches Abenteuer; wir machten uns an den Abstieg. An einer Hängepflanze seilten wir uns herab. Die kleinen Mäuse waren müde geworden und huschten ins Mauseloch. Mit Fred und Mira ging ich weiter und fühlte mich glücklich und sehr mäusig. Plötzlich stieg mir ein Duft in die Nase. Ich schnüffelte. Kamillentee? Ich schlug die Augen auf, und sah mich um. Draußen war es inzwischen dunkel. Ich lag auf dem Sofa, irgendwas war komisch. Auf einmal kam ich mir so riesig vor. Und wo war Fred? Als ich mir einen neuen Tee kochte, vernahm ich aus der Ecke des Bücherregals ein leises Rascheln…

© Lena Gabel 2024-01-25

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Unbeschwert, Lighthearted