Ein Märtyrer aus unserer Gemeinde

Emo Lenz

von Emo Lenz

Story

Meine Mutter hat mir als kleinem Büblein zum Einschlafen jeden Abend Geschichten erzählt. Sie saß im Winter in der warmen Stube am Spinnrad und drehte die Schafwolle kunstvoll zu einem Faden, der auf die Spule gewickelt wurde. Dann gab es warme Socken, Pullover und Mützen. Das monotone Geräusch des Spinnrades habe ich heute noch in den Ohren. Es war beruhigend und förderte das rasche Einschlafen.

Manchmal waren es auch Gruselgeschichten, sodass ich in den Ästen der zirbenen Stubendecke Unholde und Geister entdeckte, die mich durch meine Träume begleiteten.

Doch eine wahre Geschichte habe ich nie mehr vergessen, nämlich die des Märtyrers Otto Neururer vom Ortsteil Piller der Gemeinde Fließ. Er war als junger Priester auch Kooperator in meiner Heimatgemeinde (Fiss) und deshalb meiner Mutter bekannt.

Otto Neururer wurde am 25. März 1882 als zwölftes und letztes Kind des Müllers Alois Neururer und dessen Ehefrau Hildegard in Piller geboren. Nach dem Studium im Vinzentinum in Brixen, empfing er 1907 die Priesterweihe. Seine Primiz feierte er 1907 in Piller. Seine Mutter war schon vorher gestorben, aber „sie sehe die Primiz vom Himmel aus eh viel besser.“

Nach mehreren Kooperatorstellen kam er in die Stadtpfarrkirche St. Jakob in Innsbruck, wo er die heutige Wohnung des Bischofs bezog. Bischof Reinhold Stecher war selbst sein Schüler.

1932 kam er als Pfarrer nach Götzens. Bald nach dem sogenannten Umbruch, den er mit tiefer Betroffenheit empfand, wurde ihm bekannt, dass in seiner Pfarre ein Mädchen einen zivil getrauten und geschiedenen SA-Mann heiraten wollte, er redete ihm zu und erreichte die Lösung des Verhältnisses. Für den abgewiesenen SA-Mann war dies allerdings der Anstoß, um Pfarrer Otto Neururer bei der Gestapo anzuzeigen. Am 15. Dezember 1938 wurde er von der Gestapo verhaftet, „ … weil er eine beabsichtigte Eheschließung auf gemeine Weise hintertrieben hat.“ Mit diesem Tag begann Otto Neururers Kreuzweg: Gefängnis in Innsbruck, dann KZ Dachau und schließlich KZ Buchenwald. In beiden Lagern machte er die Entbehrungen und Demütigungen eines KZ-Häftlings mit. Im April 1940 näherte sich ihm ein Mithäftling mit dem Vorwand, getauft zu werden. Otto gab ihm verbotenerweise Glaubensunterricht. Am 28. Mai 1940 kam er plötzlich in den „Bunker“. Obwohl er bei der Einlieferung völlig gesund war, kam er nicht mehr lebend zurück. Es wird bezeugt, dass Otto Neururer an den Füßen, mit dem Kopf nach unten, so lange aufgehängt wurde, bis der Tod eintrat. Dies geschah am 30. Mai 1940.

Am 24. November 1996 nahmen wir an der eindrucksvollen Zeremonie seiner Seligsprechung durch Johannes Paul II. in Rom teil.

Unser Herz schlug höher, als wir am Abend nochmals zum Petersplatz fuhren und an den Kolonnaden des Petersdoms das riesige beleuchtete Portrait unseres bescheidenen Gemeindebürgers mitten in dieser Weltstadt betrachteten.

Kein Wunder, dass in mir auch die Kindheitsgeschichte meiner Mutter wieder lebendig wurde.

© Emo Lenz 2022-02-08

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