von Claudia Kanz
Es war Jänner und ein ausnehmend schöner Tag. Wir standen oben am Mönchsberg auf der Müllner Seite irgendwo zwischen Bienenlieb und der Straße. Ich sah ihm in die Augen. Voller Liebe, wie in den letzten fünf Jahren, aber im sechsten Jahr sollte es gleich enden.
Es begann 2014. ER und ich waren damals, auf der Suche nach einer heißen Sex-Affaire, wie gegenpolige Magneten aufeinander geprallt. Er war eigentlich gar nicht mein Typ. Er war kleiner, als ich es mochte und er hatte ein großes Tattoo am Körper. Ich hatte mich schon ein Jahr lang auf einer Datingplattform lustvoll herumgetrieben um mich und meine Lust wirklich zu leben. Aber ich stellte immer wieder fest, dass ich in meinem Innersten einfach die Ein-Mann-Frau war. Ich liebte es mich auf eine Person einzulassen, sie zu verstehen, sie zu lesen und mich lesen zu lassen. ER war auf der Plattform in allen meinen gewählten Themen-Foren immer rund um mich herum. Er poppte überall auf. Sein Profil fügte sich in meines, wie das fehlende Puzzleteil. Wir mochten die selben Dinge, aber er kontaktierte mich nicht. Wochenlang nicht. Nicht dass ich so passiv wäre, aber ich war in meiner Primärbeziehung immer die Bittstellerin und nie die Begehrte und genau das suchte ich so sehr. Aber als ich endlich verstand, dass ER der von mir sehnsüchtig gesuchte fixe Liebhaber in meiner Stadt sein könnte, schrieb ich ihn doch an. Wir fingen an miteinander zu chatten und was da in kürzester Zeit bei unseren Brainf*cks abging, war das Genialste, was ich je mit jemandem erlebt hatte. Ja, ich weiß, unser Gehirn ist das leistungsfähigste Sexualorgan. ER war sinnlich, empathisch, als ob er anwesend wäre. Ihm ging es mit mir gleich. Wir fühlten uns. Aber ER hatte, anders als ich, keine Erlaubnis von seiner Partnerin und die würde es auch nie geben. Deshalb wurde es April, bis wir uns trafen. Das Treffen war unglaublich. Jeder der schon virtuell eine Affaire begonnen hat, weiß, dass die Realität messerscharf schneiden kann. Es kann passieren, dass beim ersten Anblick eine emotionale Mauer hochfährt, die du nicht mal erahnen kannst. Dieser Mensch kannte bereits dein Orgasmusgesicht und er wusste was du im Bett gerne magst. Es gab kein Geheimnis mehr. Aber ganz anders hier. Es war noch besser. ER fühlte sich super an! Seine Küsse machten süchtig und mein Körper jubelte direkt und ohne Scham. Hier hatte etwas begonnen, dem nicht mehr zu entkommen war. Und binnen weniger Wochen fiel das L-Wort. Wir verbrachten die nächsten Jahre zusammen, er war meiner und ich seine und doch wieder nicht. Wir liebten uns im Wald, im Hotel, am See, im Auto und teilten auch die sonst ausgeschlossenen Anteile unserer Leben miteinander. Ehe, Kinder, Sorgen, den Tod meiner Mum, alles breiteten wir ehrlich vor dem anderen aus. Die Stunden zusammen waren UNSERE INSEL.
So blieb das sechs Jahre lang bis zu dem Tag, als ich mich sagen hörte: “Das Einzige was ich dir jetzt in dieser Situation abnehmen kann, bin ich.” Er nahm meinen Vorschlag still an.
© Claudia Kanz 2020-11-16