Meine Geschichte hat sich so ungefähr vor 45 Jahren zugetragen.
Es gab seinerzeit eine ältere alleinstehende Dame, die sehr einsam war. Ihr Mann war vor einem Jahr verstorben, Kinder hatten sie keine. Sie hatte sich seit dem Tod ihres Gatten von der Außenwelt fast abgekapselt, hatte auch keinerlei Freunde und Bekannte oder liebe Nachbarn, die sich um sie hätten kümmern können. . Weihnachten stand vor der Türe.
Mit meinen 2 Kindern besorgten wir uns eine kleine Tanne. Wir wickelten gemeinsam Zuckerln ein, eine Girlande aus Stroh wurde geflochten, die Kinder bastelten eifrig und im Endeffekt wurde es ein wirklich schönes Bäumchen.
Bloß die Frage war, wie stellen wir dieses Unterfangen einfach an? Die Dame lässt sicher nicht jeden in ihre Wohnung hinein, sie hat natürlich keine Ahnung. Wir wollten sie eben am Heiligen Abend besuchen und ihr ganz schlicht und einfach Freude bereiten. Also rief ich vorher an, die Telefonnummer habe ich aus dem Telefonbuch erfahren.
Eine zittrige Stimme war am anderen Ende der Leitung und sprach zaghaft: „Hallo?“ Ich entschuldigte mich natürlich mit dem Vorwand, mich verwählt zu haben und legte dann auf. Also die Dame war zu Hause, unsere geplante Aktion konnte starten. Ich hatte seinerzeit auch einen Punsch zubereitet, dann selbst gebackene Kekse auf einem weihnachtlichen Teller hergerichtet. Wir verstauten dann den kleinen Baum und sind losgefahren. Mein Herz und das der Kinder pochte ziemlich arg, wir waren fast so aufgeregt wie nachher die ältere Dame, als sie uns wirklich die Türe öffnete.
Wir postierten uns dann vor der Wohnung, ein Glöckchen in der Hand, den Baum, die Kekse, den Punsch und ein paar winzige Geschenke, die die Kinder von ihrem Taschengeld noch erstanden hatten. Die beiden waren damals von der Idee so fasziniert, dass es für sie selbstverständlich war, ein paar Schillinge dafür zu opfern. Das Herz schlug mir fast bis zum Hals, als ich die Klingel drückte. Eine zaghafte Stimme von drinnen wurde hörbar: „Wer ist draußen?“ Wir merkten, dass die Dame dann durch das Guckloch schaute und noch bevor wir den Satz „Wir wünschen Ihnen ein wunderschönes Weihnachtsfest“ ausgesprochen hatten, ging die Tür nun wirklich auf. Wir trauten unseren Augen nicht. Sie bat uns wirklich hinein und begann ab dem Moment so zu weinen und zu stammeln, nachdem wir uns vorgestellt hatten und erzählten, wir wollten ihr ganz schlicht und einfach eine Freude bereiten. Alle zusammen haben wir dann vor Freude geweint, gemeinsam Weihnachtslieder gesungen, den Baum auf einen Tisch gestellt, die Kerzerl angezündet, die Packerl darunter postiert und miteinander Punsch getrunken.
Dieses Weihnachtsfest ist mir und den Kindern so zu Herzen gegangen seinerzeit, wir haben uns dann nach geraumer Zeit herzlich verabschiedet, es war, als hätten wir uns schon Jahre zuvor gekannt. Ich blieb dann noch längere Zeit in Verbindung mit dieser Dame, bis ich eines Tages erfuhr, dass sie verstorben war.
Agnes Thinschmidt
© agnes thinschmidt 2021-12-08