Ende einer Freundschaft

Story

Vor ein paar Jahren fühlte ich auf einmal eine aufkeimende und stärker werdende Abneigung gegen eine langjährige Freundin und wünschte mir direkt, den Kontakt zu ihr ganz abbrechen zu können, oder noch besser, der Kontakt würde sich durch irgendwelche Umstände von selbst auflösen. Ich setze äußerst ungern harte Schnitte und ich war mir lange Zeit auch gar nicht sicher, ob ich eine totale Entfernung von dieser Freundin wirklich wollte, denn wir waren seit der Volksschulzeit unserer Kinder, durch die unsere Bekanntschaft entstanden war, ein langes Stück unseres Weges in relativ enger Verbundenheit gegangen, und so tat es mir irgendwie auch leid, vielleicht aber auch nur um eine alte Gewohnheit.

Doch es stellte sich mit der Zeit jedes Mal, wenn ein Treffen verabredet oder eine Aktivität geplant war, bei mir sofort der Impuls ein, eine Ausrede zu finden, warum ich nicht konnte. Sogar richtige Lügen ließ ich mir einfallen, schützte zum Beispiel eine Erkältung vor, eine kurzfristige Tagesreise oder einen geschäftlichen Termin. Ich schaffte es aber nie, ihr einfach zu sagen, dass ich sie am liebsten gar nicht mehr getroffen hätte, denn sie wohnt in der Nähe und man würde einander doch manchmal über den Weg laufen.

So ertrug ich eben längere Zeit die ohnehin schon viel selteneren Begegnungen und hoffte, dass sich meine Einstellung vielleicht wieder ändern würde. Ich bemühte mich mir einzureden, dass mich die Dinge, die mich zunehmend an ihr störten, gar nichts angingen, da es ihre Privatangelegenheiten waren und sie sich mir gegenüber niemals in irgendeiner Weise unangenehm verhalten hatte.

Natürlich war es ungerecht, die Schuld an der unliebsamen Entwicklung nur bei ihr zu suchen. Sicher hatte auch ich mich verändert, und wahrscheinlich verliefen diese Veränderungen bei mir eben völlig konträr zu den ihren. So stellte ich fest, dass ich in vielen Punkten im Laufe der Jahre toleranter geworden war, in anderen wieder unduldsamer, sodass man wahrscheinlich sagen konnte, wir hätten uns eben auseinandergelebt.

Als die Pandemie ausbrach, wurden plötzlich unsere gemeinsamen Besuche im Fitnesscenter beendet, die uns noch zusammengehalten hatten. Wir telefonierten immer seltener und nach einigen Monaten schlief der Kontakt völlig ein. Zuletzt wurden noch kurz und formell gehaltene Wünsche zu Weihnachten und Geburtstagen per WhatsApp übermittelt, im letzten Jahr war auch das nicht mehr der Fall. Und obwohl wir nur wenige hundert Meter voneinander entfernt wohnen, bin ich ihr das letzte Mal vor mehr als einem Jahr zufällig begegnet. Wir unterhielten uns kurz und freundlich, aber das Thema, warum wir einander gar nicht mehr trafen, wurde nicht berührt.

Sie fehlt mir nicht und auch ich scheine ihr in keiner Weise zu fehlen, worüber ich sehr froh bin, denn ich fürchtete immer, sie würde mir meine Zurückhaltung vorwerfen, aber die Beendigung der Freundschaft dürfte glücklicherweise in beiderseitigem Interesse gewesen sein.

© 2022-04-29