von Ulrike Nikolai
Kreatives Schreiben. Jedes Mal gibt es einen neuen Schreibimpuls. Jedes Mal gehen wir tief berührt und beflügelt nach Hause. Dieses Mal hieß der Impuls:
Erinnert euch an einen ganz besonderen Brief, den ihr mal bekommen habt. Vielleicht von einer Freundin, vielleicht von einer verwandten Person. An einen Brief, den ihr euch aufbewahrt habt, weil er so schön oder so bedeutungsvoll für euch ist.
Ich setzte mich hin und schrieb:
23.07.2024
Endlich wieder schöne (?) Post
An einen, an einen ganz besonderen Brief, an DEN einen Brief denken, den ich bekommen habe? Ich habe so viele schöne Briefe bekommen. Aber DER EINE BESONDERE, den ich bekommen habe, ist kein Brief, der an mich gerichtet war und doch ist er für mich bei diesem Schreibimpuls der größte, der tiefste, der traurigste Brief. Und der, der mich am meisten mit einer Person verbindet, die ich nie persönlich kennengelernt habe:
Oma. Du bist an Krebs gestorben. Bald danach bin ich auf die Welt gekommen. Irdisch sollten wir uns nicht berühren.
Ich habe mir so sehr gewünscht, etwas Persönliches von Dir zu finden, als Mutti – Deine Tochter – ihren Himmelsgang vollzogen hatte. Ich dachte nicht an diesen Brief, an dieses Stück Papier, das aus allen anderen Briefen hervorstach, die ich gestapelt in Muttis Schlafzimmerschrank fand.
Ein Brief hat vier Ecken. „In allen vier Ecken soll Liebe drin stecken“ – so schrieben wir früher in die Poesiealben von Mitschülerinnen. Und jede dieser Ecken dieses gefundenen vergilbten Briefbogens sah aus wie in Wasser getaucht. Und als ich den Brief gelesen hatte, wusste ich, woher dieses Wasser gekommen war. Aus Deinem Körper!
Der Brief war an Dich gerichtet. Es war ein Feldpostbrief, in dem ein Offizier aus einem Kriegslazarett berichtete. Er erzählte Dir darin von den letzten Lebensstunden meines Onkels Siegfried, Deines Sohnes.
Und genau in diesem Moment***, da ich dieses hier aufschreibe, regnet der Himmel, liebe Oma. Wir sind verbunden … auf ewig!
***Es war der Moment, in dem Susanne, die das „Kreative Schreiben“ leitet, mit der Kalimba herumging und uns signalisierte, die Schreibzeit sei beendet. Ich hörte ein mächtiges Rauschen auf der Glaskuppel schräg über mir und schaute erstaunt hoch. „Sag bloß, das regnet gerade“, sagte ich zu Susanne. „Ja“, sagte sie und wusste natürlich (noch) nicht, was das für mich in dem Augenblick bedeutete. Als ich mich von meinem Schreibplatz erhob, hörte es genauso schlagartig auf, wie es eingesetzt hatte.
Danke Oma, für diesen liebevollen Wink aus dem Himmel!
© Ulrike Nikolai 2024-07-23