von Roman Scamoni
„Nächster Halt: Freizeitzentrum Stubay“. Die metallisch klingende Stimme unterbricht unsere Gedanken, während mein Sohn und ich die vorbei gleitende Landschaft betrachten. Auf dem Weg in das Schwimmbad ist schon die Anreise mit der Straßenbahn ein Erlebnis: Vorbei an grünen Wiesen, durch dichte Wälder schlängeln sich die Schienen hoch über die Stadt Innsbruck durch das Mittelgebirge Richtung Stubaital. „Papa, müssen wir an der nächsten Haltestelle aussteigen?“ werde ich gefragt. Während ich versuche, durch das Fenster einen Blick auf die vor uns liegende Haltestelle zu erhaschen, nicke ich. Wie immer, wenn ich den Ausstieg noch nicht kenne, hoffe ich, dass mich keine allzu hohe Stufe erwartet. Mit dem Rollstuhl ist zwar auch ein größerer Höhenunterschied kein Problem – runter kommt man schließlich immer – aber je niedriger die Schwelle beim Ausstieg ist, desto angenehmer. Als wir dem Ziel näher kommen, sehe ich, dass kein barrierefreier Ausstieg vorhanden ist. „Na gut“, denke ich, „aber zumindest ist bei der Station ein kleines Podest, dann klappt das schon irgendwie.“
Während mein Sohn schon längst bei der Türe steht und es nicht erwarten kann, bis wir anhalten, warte ich, bis die Bahn steht. Rasch rolle ich zum Ausgang und hüpfe mit dem Rollstuhl ins Freie. Etwas ratlos versuche ich mich zu orientieren: Vor mir führt ein schmaler Pfad mit fest in die Erde getretenen Stufen eine steile Böschung bergab. Ich blicke links und rechts, ob es irgendwo wohl einen Gehweg hinunter in das unter uns liegende Freizeitzentrum gibt. Anscheinend steht mir meine Ahnungslosigkeit sehr deutlich ins Gesicht geschrieben – der Fahrer der Bahn steigt aus und fragt, wo ich denn hin müsse. Ich antworte: „Ich suche gerade nach dem Weg, über dem ich halbwegs barrierefrei runter zum Schwimmbad komme“. Der Fahrer deutet mit einem Schulterzucken auf den steil abfallenden Steig. Naiv, wie ich nun mal bin, frage ich nach: „Ja, diesen Weg habe ich gesehen. Aber da gibt es doch sicher einen anderen Weg, oder?“ Als Antwort reicht mir das langsame Kopfschütteln. Ich sehe mich schon am Hosenboden den Hang hinunter rutschend, während mein Sohn den Rollstuhl abwärts bugsiert, als ich die Frage des Fahrers höre: „Soll ich ihnen hinunter helfen?“ In der Erwartung einer positiven Antwort schließt er die Straßenbahn ab. Tatsächlich bin ich erleichtert, über das Hilfsangebot und begebe mich bereitwillig in die Hände des Fahrers, der tatsächlich sicher und kontrolliert den Rollstuhl mit mir ans Ziel bringt. Für den Rückweg werde ich diese Haltestelle aber meiden – nur gut, dass meine Schwester sich bereit erklärt hat, mich abzuholen. Bis dahin genießen wir den Tag im Schwimmbad!
Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erleben, heißt es. Als Rollstuhlfahrer ist meistens schon eine Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln ein Abenteuer für sich. Nur gut, dass ich das Abenteuer liebe – und dabei immer wieder auf hilfsbereite Menschen treffe.
© Roman Scamoni 2023-01-10