von Gerda Modera
Nix mehr “depri”, aufwärts geht’s. Raus geht´s. Mehr Licht, mehr Leben. Die bösen Geister sind vertrieben, die Lebensgeister beginnen sich in alle Richtungen auszudehnen. Hyazinthenduft statt Weihrauchnebel. Es hat “ausgeglittert”.
Das ganze Jahr (Kalender) inklusive Weihnachtsdeko werden in meine immer kleiner werdende Box eingeschachtelt und abgelegt. Vielleicht noch ein Foto von diesem oder jenem Engerl, Kugerl, bevor es im “Kostnixladen” landet.
Und diese zwei Figuren? Weg, weg, abgeben. Reduktion ist angesagt.
Nicht so bei meinem Mann. Er saugt immer tiefer ein: Bücher, Kunst, Schallplatten. Ich atme dafür länger und mehr aus. WIR sind EINS (zwar nicht immer ganz einig, was gut so ist) und doch hat jeder SEINS. Dadurch ergänzen wir uns so perfekt. Und immer öfter, was das Erinnern betrifft: ICH: Wie heißt? …und… wo ist..? ER hingegen weiß: Wer …und …wo ist.
Vielleicht liegt es auch daran, dass ich weniger Zeugs, sondern viel zu viele Erinnerungen gesammelt habe und die in meinem Kopf aussortieren sollte? Aber was tun mit ihnen? Wem geben, kostet nix? Und den Tränen? Die lassen sich auch nicht verstauen, die wollen raus.
Damals, Anfang der 80-Jahre: Ich war jung und es hat mich vom See ins tiefste Mühlviertel verschlagen. Meter-hohe Schneemassen, Schneestürme. Ziemlich isoliert da oben. Meine Tochter war noch kein Jahr und ich hatte viel Zeit. Die Wohnung wurde überdekoriert. Salzteigfiguren (wie konnten mir die nur gefallen?) wurden geformt und an jede Tür gehängt, Bilder gestickt, Seide bemalt, das Kind und ich von Kopf bis Fuß bestrickt und benäht.
Mitten im kleinen Wohnzimmer stand eine Holzgehschule (oder hieß das: Lauflernstall?) mit einer weichen Matte ausgestattet, Spielzeug drinnen und Gitterstäben rundherum. Für heutige Mütter undenkbar, doch wir konnten in Ruhe duschen gehen.
Meine ältere Tochter hat einmal erwähnt, dass sie ab und zu von Gitterstäben träume. Es kostete mich einige Überzeugungsarbeit, ihr klar zumachen, dass diese Erinnerung nur von einem Krankenhausaufenthalt in ihrer Kindheit herrühren könne.
Jedenfalls habe ich wieder einmal gebastelt. Draußen wirbelten die Schneeflocken im Kreis. Meine Kleine saß selig in der Gehschule. Ihre Härchen schimmerten golden im Lampenschein und sie zerriss mit ihren Händchen Zeitungspapier in kleinste Stücke. Wir waren ein gutes Team. Sie fetzte, ich knetete und kleisterte und formte aus dem Pappmache‘ zwei Engerl, denn die zweite Tochter kündigte sich bereits an. Ich plagte mich ziemlich und es gelang mir einfach nicht, kleine zarte Engelnäschen zu formen. Das größere Engerl bekam eine Knollen- das kleinere eine Hakennase.
Wie froh bin ich nun, dass ich die beiden über die vielen Jahre nicht aussortiert habe und sie trotz ihrer Flügel nicht weggeflogen sind. Sie haben sich sogar vermehrt. Aber in Echt. Es sind drei Eng(k)erl dazugekommen. Mit süßen Naserln.
© Gerda Modera 2023-01-06