Erste Liebe

Anna Pichler

von Anna Pichler

Story

Ob ich dich noch kenne? Du warst meine erste große Liebe! Damals im Kindergarten. Niemand konnte dir das Wasser reichen. Du hast mich vor den gemeinen Jungs beschützt. Wenn du bei mir warst, hat sich niemand getraut mich auch nur schief anzusehen. Du warst mein Beschützer, mein Spielgefährte, mein bester Freund. Ich habe dich vergöttert und jede freie Minute von dir geschwärmt.

Wir waren aber auch wirklich ein Dream-Team. In der Puppenstube hast du den perfekten Vater abgegeben. Hast manchmal gekocht oder unsere Kinder ins Bett gebracht – und wir hatten viele Kinder. Wir haben uns mit „Schatz“ und „Liebling“ angesprochen, weil man das so macht, wenn man groß ist.

In der Lego-Ecke hattest du das Kommando und problemlos habe ich dir die richtigen Bausteine für unsere Mords-Projekte gereicht. Nichts war uns zu groß, zu komplex, zu schwierig. „Können wir das schaffen?“, war unser Motto in der Bauecke. Du warst mein Bob und ich deine Wendy.

Jedes Jahr an meinem Geburtstag durftest du am Geburtstagstisch sitzen und bekamst ein großes Stück Torte. Du gehörtest zu meinem engsten Freundeskreis.

Unsere Eltern haben schon unsere Hochzeit geplant, so verliebt waren wir damals.

Ich kann mich noch erinnern, als du mich Jahre später, in der Volkschule gefragt hast, ob ich bei unserer Erstkommunion mit dir in die Kirche gehen möchte. Alle anderen Jungs waren zu feige, ein Mädchen zu fragen. Doch du hast keine Sekunde gezögert. Schnurstracks bist du auf mich zugekommen und hast mich gefragt. Ich habe schüchtern genickt und du hast dich in die Jungs-Reihe zurückgestellt. Hoch erhobenen Hauptes standest du dort. Du warst stolz, dass ich ja gesagt habe.

Als wir dann in die Kirche einzogen – du in Lederhose und Hemd und ich im weißen Kleid mit Gretelfrisur und weißen Schühchen – hat meine Mutter deine angestoßen und gesagt: „Stell dir vor, in 20 Jahren sitzen wir wieder hier.“ Mit großen Augen hat deine Mutter meine angesehen und dann mussten beide kichern. So abwegig war das damals nicht. Immerhin haben wir im Kindergarten jede freie Minute miteinander verbracht.

Auch heute zieht mich mein Vater noch deinetwegen auf – meiner Sandkastenliebe. Aber soll er ruhig.

© Anna Pichler 2020-07-17

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