von Daniela Noitz
Es ist mittlerweile ĂŒber 35 Jahre her, dass ich die Kraft des ErzĂ€hlens fĂŒr mich entdeckte, damals unter einer Laterne auf einer Wiese in Hastings. Zuerst waren nur eine Freundin und ich da. Wir warteten auf den Bus, der uns abholen sollte. Wir waren zu frĂŒh dran. Viel zu frĂŒh. Doch auch andere stieĂen zu uns, und ich wurde gebeten eine meiner Geschichten zu erzĂ€hlen, und ich tat es, und aus einer wurden mehrere. Ich erzĂ€hlte. Nichts weiter, stieg ein in das erzĂ€hlte Geschehen und nahm die anderen mit, so sie wollten. Was rund um uns noch geschah? Ich kann es nicht sagen. Ich genoss den Moment und das Miteinander und den Austausch, bewĂ€hrte mich als aufmerksame FĂŒhrerin. Zuletzt sprachen wir darĂŒber. Dann stiegen wir in den Bus ein und fuhren weg, weg von dem Ort und aus dem Geschehen. Danach habe ich lange nicht mehr erzĂ€hlt, nur das Erleben begleitete mich, ĂŒberrollte mich ab und an in einer sanften Welle und trug mich fort zu der Laterne in Hastings vor ĂŒber 35 Jahren.
Die Zeit verging, die Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten wurden mehr, wollten erfĂŒllt werden, und auch wenn ich von diesem Damals, nicht nur rĂ€umlich, weit weg schien, so war es doch immer irgendwo prĂ€sent. In einer kleinen Schublade im groĂen Kasten meiner Erinnerungen. Und jetzt habe ich sie wieder einmal aufgemacht. Nicht nur fĂŒr einen kurzen Blick hinein, sondern um sie wirklich herauszunehmen, fĂŒhlte mich ein, wie es war, gelehnt an die Laterne, erzĂ€hlend, beobachtend, und plötzlich wusste ich, dass es das war, was ich immer wollte. Nicht nur schreiben, fixieren und weitergehen, sondern erzĂ€hlen und nĂ€herbringen. Zuerst hatte ich gedacht, es wĂ€re die Nacht, die diese seltsame, magische Stimmung zauberte, so dass ich meine Geschichten zunĂ€chst immer in der Nacht ansiedelte, sie erzĂ€hlen lieĂ von meinem Alter Ego, Nyx Nachtgedanken. Aber das war es nicht. Es war das verbindende Band des ErzĂ€hlens, das BrĂŒcken schlĂ€gt zu weit entfernten Epochen und BrĂŒcken in die Ferne, das uns aufmerken lĂ€sst auf das Hier und Jetzt, das uns aber auch ein wenig dem Alltag vorenthĂ€lt. ErzĂ€hlen â zum Lachen zu bringen, zum Weinen, zum Nachdenken, zum Verstehen. Und wenn man zurĂŒckkehrt in diesen Alltag, so tut man es gestĂ€rkt und zuversichtlich. Vieles lĂ€sst sich mit Geschichten viel besser erklĂ€ren als durch bloĂe Beschreibung, denn wir können das Gelingen der Protagonisten nachvollziehen, ebenso wie ihr Scheitern. Und wenn es gut ist, dann verleitet es dazu ein wenig innezuhalten, ohne die RealitĂ€t gĂ€nzlich zu negieren. Ich will nichts weiter, als meine Geschichten zu erzĂ€hlen, und wenn ich meine sage, so sind es all die, die ich in mir gesammelt habe, aus eigener Anschauung, aus Gelesenem, aus Gesehenem, aus dem, was mir erzĂ€hlt wurde, und bisweilen aus meinen TrĂ€umen und Phantastereien, denn dem der erzĂ€hlt, dem stehen die Welten des innen und des AuĂen offen. Nichts, was nicht zugĂ€nglich wĂ€re, nichts, was sich verschlieĂen wĂŒrde, und doch nichts weiter als eine Geschichte. Geschichten drĂ€ngen und zwingen nicht. Vielleicht verfĂŒhren sie oder verzaubern. Vielleicht schenken sie uns Worte, nach denen wir schon lange gesucht haben, aber letztlich entscheidet der Hörende, ob er sich auf die Geschichte einlĂ€sst oder nicht.
Ich bin die ErzÀhlerin, und als solche biete ich Geschichten an. Nichts weiter. Und ich freue mich, wenn ihr euch einlasst.
© Daniela Noitz 2024-01-19