von Anne_Ladgam
Die Woche war sehr turbulent verlaufen. Mittwochs hatten wir die Kinder mitten unterm Abendessen verlassen, um einer Bekannten in einer Ausnahmesituation beizustehen. ZufĂ€llig traf ich in der StraĂe, wo sie wohnte, meinen Neffen. Er war auf Besuch in Tirol und hatte mit einer guten Freundin am Fluss ein mit einer Bierdose gefĂŒlltes Huhn gegrillt. Er radelte im Sonnenuntergang fröhlich grinsend vorbei, als ich angespannt neben einem Polizisten stand und er uns beriet, was zu tun wĂ€re. Wiedersehensfreude und Stress pur in der selben Sekunde. Am Donnerstag frĂŒh löffelte ich gerade verschlafen Kaffeepulver in den Filter der Kaffeemaschine, als ich plötzlich zusammenzuckte und nach meinem Mann rief: âSchatz, der Mann von ihr sitzt auf der Bank und starrt zu unserm KĂŒchenfenster!â Auch dieses Problem lieĂ sich mit Reden lösen. Aber mein NervenkostĂŒm war locker. Am Freitag war geplant, dass meine Nachbarin kocht. Wir wechselten uns wochenweise ab, genossen den kochfreien Vormittag und noch mehr das gemeinsame Mittagessen von 2 Freundinnen mit 4 Kindern.
In der FrĂŒh jedoch kam ein Anruf von Vati:“Anne, Mutti kam gestern Abend ins Krankenhaus, sie hatte extreme Schmerzen! Sie wollte, dass ich es dir erst in der FrĂŒh sage!“ Sofort fuhr ich in die Klinik und eilte zu Mutti.
Ich betrete das Zimmer und Mutti sagt ganz ruhig und gefasst: âAnne, es ist Zeit, Abschied zu nehmen!â Sie spricht so klar, dass es sich klar anfĂŒhlt.
Ich atme tief. Mutti hat die Information bekommen, dass die Schmerzen vom Aneurysma herrĂŒhren, das nun kleine Risse bekommen habe. Ich bin nicht so versiert und bitte einen Arzt um ein GesprĂ€ch. Er ist sehr nĂŒchtern und meint, dass es schnell gehen, aber auch noch Monate dauern könne. Irgendwann wĂŒrde das Aneurysma reiĂen. âSoll ich meine Geschwister anrufen?â, frage ich ihn. âWieviele sind es?â Als ob das relevant wĂ€re. Mir kommt vor, ihm scheint es ĂŒbertrieben. Ich gehe aus dem Raum und rufe die erste Schwester an. Mir bricht die Stimme, als ich den Satz von Mutti wiederhole. âSie hat gesagt: es ist Zeit..!“Allen sage ich, dass es von meinem GefĂŒhl her gut wĂ€re, wenn sie herkĂ€men, im besten Falle hĂ€tten wir einfach ein Familientreffen. Ich warte mit meinem Neffen bei Mutti, die uns beauftragt, am FluĂ Löwenzahn fĂŒr Spinat zu pflĂŒcken. Ich protestiere: âAuf der rue de la Gaque?!â Meine Geschwister sind mindestens 5 Zugstunden entfernt, aber alle schaffen es, am Abend anzukommen. Am Samstag sind wir bei Mutti. Sie ruft ihre Schwestern an:“Die Kinder sind gekommen, um von ihrer alten Mutter Abschied zu nehmen!“ Der Pfarrer betet mit uns. Wir weinen, aber wir lachen auch, singen und reden. Ich habe Profiteroles gemacht und wir essen sie rund ums Bett. Meine HĂ€nde zitterten, als ich sie zuhause fabrizierte: âDas wird die letzte sĂŒĂe Speise sein, die ich fĂŒr Mutti macheâ. Es ist das letzte Mal, dass wir alle gemeinsam mit Vati bei Mutti sind . Noch können wir es gar nicht glauben, es fĂŒhlt sich eher an wie ein Familientreffen.
© Anne_Ladgam 2022-03-15