Fahrlässigkeit

Hubert Thurnhofer

von Hubert Thurnhofer

Story
Wien 2024

Um mit meinen Parteigenossinnen Madeleine, Monika und Nora den erwarteten Triumph zu feiern, bin ich am Nationalrats-Wahl-Sonntag schon am Vormittag über den Semmering gefahren; mit dem Auto ganz ungrün, aber mit einem Werbebanner „Liste Madeleine Petrovic“ am Heck.

Im 18. Bezirk hat mich meine Freundin zum Mittagessen eingeladen. Danach wollten wir – vor der Jubelfeier – noch die Albertina besuchen. In der Nähe der Karlskirche fand ich einen Parkplatz. Von dort gingen wir zu Fuß über den Resslpark durch den Bahnsteig der U4 um am anderen Ende des Bahnsteigs weiter zur Albertina zu gelangen. Dieser Weg war uns jedoch versperrt von rund zehn nicht behördlich gekleideten Abfangjägern, die sich wie Dobermänner und Doberfrauen benommen haben.

Meine höfliche Bitte um Durchlass wurde aggressiv abgelehnt, meine Erklärung, keine U-Bahn benutzt zu haben, wurde aggressiv ignoriert, solange, bis ich „freiwillig“ der Aufforderung nachkam, einen Ausweis vorzuweisen. Meine Daten wurden aufgenommen und dann wurde mir eine „Ersatzfahrkarte 1 Fahrt WIEN“ zum Preis von 2,60 und zusätzliche Gebühren 112,40, in Summe runde 115 Euro aufgezwungen. Zynische Nachbemerkung des Exekutors: „Mit der können’s jetzt weiterfahren.“ Aus meiner Sicht ein klarer Tatbestand der Nötigung.

Eine Nötigung liegt in diesem Fall vor, weil ich gezwungen wurde einen Fahrschein zu kaufen, ohne Beweisaufnahme am mutmaßlichen locus delicti. Der kurze Weg bis zum Auto, das nicht weit von dem U-Bahn-Ausgang geparkt war, wäre leicht möglich gewesen.

Wie weit darf die Macht eines Monopolbetriebs gehen, einen Menschen zu einem Geschäft zu nötigen, das er nicht im Geringsten benötigt? Dass das Betreten eines Bahnsteigs bereits ein Geschäft darstellt, ist so widersinnig wie der Zwang, eine Fahrkarte nach Innsbruck zu lösen, wenn ich am Wiener Hauptbahnhof einen Besucher aus Tirol direkt vom Bahnsteig abhole (eine gängige Praxis). Sogar Museen wie die Albertina kann ich ohne Eintrittskarte betreten, wenn ich nicht die Ausstellung besuchen will, sondern nur den Museumsshop.

Über den Einzelfall hinaus geht es um die Grundsatzfrage, ob ein Unternehmen wie die Wiener Linien GmbH Mitarbeiter einsetzen darf, die mit paramilitärischen Methoden unbescholtene Bürger dieses Landes einkreisen dürfen, um sie an der freien Benutzung des öffentlichen Raumes zu hindern. Wahrscheinlich gibt es dafür Richtlinien (Verordnungen, Gesetze?) der Stadt Wien; ob diese allerdings den Grundrechten entsprechen, hat vermutlich noch niemand geprüft.

Jedenfalls hat die Stadt Wien den Begriff „Fahrlässigkeit“ neu interpretiert. Ob meine Fahrlässigkeit ohne einen Fahrschein zu lösen den U-Bahnbereich zu betreten, oder die Fahrlässigkeit der Behörde, Mitarbeiter eines städtischen Betriebs mit Gewalten auszustatten, die diesen laut Verfassung nicht zustehen, werden die Reaktionen auf diesen kleinen Artikel vielleicht klären.


© Hubert Thurnhofer 2024-11-28

Genres
Humor& Satire
Stimmung
Informativ
Hashtags