Frau trägt Glatze

”Haben Sie sich schon einmal in den Spiegel geschaut?“ „Ja, jeden Tag wenn ich im Bad stehe“

„ Sie schauen ja schrecklich aus“ Nun anfangs war es wahrscheinlich nicht nur für diese ältere Dame verstörend eine Frau mit Glatze zu sehen. Vielleicht erging es ihr so wie mir, als ich mit 16 Jahren die erste kahle Stelle an meinem Kopf entdeckte. Damals hatte ich noch keine Vorstellung was ein „kreisrunder Haarausfall“ bedeutet und wie sehr mich dieser Begriff noch für viele Jahre begleiten würde. Nach vielen Auf und Abs konnte ich vor 10 Jahren eine Halbglatze verbuchen. Das bedeutete jeden Morgen auf den Kopfpolster zu schauen und die Haare büschelweise zu entsorgen. Anfangs gelang es mir mit selbst gehäkelten Hauben die Stellen gut zu verdecken, aber dann half auch das nicht mehr. Irgendetwas musste sich ändern, aber was?

Bei einem Besuch eines Homöopathen und Atemtherapeuten fasste ich dann spontan den entscheidenden Entschluss: Die Haare müssen weg. Das war wohl der teuerste Friseurbesuch meines Lebens, aber dafür spare ich mir nun seit 10 Jahren viel Geld:)

Diese Entscheidung hatte weitreichende Folgen für mich und meine Umwelt. Da ich das ohne Vorankündigung gemacht hatte und in meiner Umgebung die erste Frau war die Glatze trug, wurde ich mit den unterschiedlichsten Reaktionen konfrontiert. Besonderen Dank bin ich meinem Mann verpflichtet, denn er liebt mich ausnahmslos so wie ich bin! Auch meine drei Kinder standen hinter dieser Entscheidung. Im Laufe der Zeit lernte ich tolerant gegenüber dem Unverständnis oder verletzenden Bemerkungen zu sein, ganz zu mir zu stehen und mich in der Rolle als Frau mit Glatze einzufinden. Fühlte ich mich anfangs schutzlos und den Blicken ausgeliefert, verhalf mir gerade dieser Umstand meine innere Stärke zu entdecken, zu erkennen und zu leben. Es war und ist mir nicht mehr wichtig, was andere über mich sagen oder denken.

Oft werde ich auf meine Glatze angesprochen. Einige Male haben mir Menschen erzählt, dass sie mich nicht kennen, aber ich ihnen Kraft und Zuversicht gegeben haben, ihr eigenes Anderssein oder ihre Krankheit anzunehmen. Eine Dame sprach mich vor einiger Zeit an und berichtete mir, dass sie mich kurz nach ihrer Krebsdiagnose in der Straßenbahn gesehen hatte, und meine fröhliche Ausstrahlung hat ihr Zuversicht und Mut gegeben. Dafür bin ich sehr dankbar.

Jetzt trage ich seit 10 Jahren Glatze und viele meiner Freunde behaupten, sie könnten sich Andrea mit Haaren gar nicht mehr vorstellen:)

Unlängst war ich spazieren. Da sprach mich ein kleiner Junge an: „Du hast keine Haare am Kopf. Hast du sie verloren? Musst besser aufpassen!“ Seine Mutter und ich mussten herzlich lachen!