Friedhof der Heimatlosen

Daniela Neuwirth

von Daniela Neuwirth

Story

Täglich spaziert Lilly an der katholischen Kirche und dem gegenüberliegenden von der Straße einsehbaren Friedhof vorbei. Eine kniehohe Mauer und ein Zwergentürchen trennt die Passanten vom Garten der letzten Ruhestätte. Für einen “normalen” Friedhof kommt ihr dieser sehr klein vor, da Westerland zu viele Einwohner hat, als das so ein Gärtchen mit den kleinen Holzkreuzen ausreichen würde. Sie denkt nicht weiter drüber nach und nimmt es wie es ist.

Doch bald liest sie über den Friedhof der Heimatlosen. Den Weg, den sie täglich von der Käptn-Christiansen-Straße Richtung Friedrichstraße und weiter zur Promenade am Meer ging, war der gleiche, den die rumänische Königin Elisabeth zu Wied 1888 zurücklegte, wenn sie in ihrem Urlaub in Westerland von der Unterkunft, dem Gartenhaus der Villa Roth zum Strand, dem damaligen „Damenbad“ schritt. Elisabethstraße wurde dieser Weg der Königin noch im selben Jahr zu ihren Ehren benannt.

Also fiel ihr ebenso der Friedhof der Heimatlosen – auch Heimatstätte für Heimatlose genannt – auf, wo einfache Holzkreuze in Reihen stehen und in Folge ein Gedenkstein, den die rumänische Königin bei ihrer Abreise stiftete, worauf eine Texttafel die letzte Strophe des Gedichtes “Heimat für Heimatlose” eines evangelischen Theologen aus Berlin enthält:

>Wir sind ein Volk vom Strom der Zeit. Gespült zum Erdeneiland, voll Unfall und voll Herzeleid bis heim uns holt der Heiland. Das Vaterhaus ist immer nah. Es ist das Kreuz von Golgatha, Heimat für Heimatlose.<

Da an den Strand gespülte, unbekannte Leichen – meist über Bord gegangene und ertrunkene Seeleute – einfach sich selbst überlassen blieben, legte im Jahr 1854 der Strandvogt Decker einen eigenen Friedhof für diese an. Allein von 1600 bis 1870 zählte ein Chronist 418 solche Tote an den Stränden Sylts.

Für jeden der weiteren 53 unbekannten, gestrandeten Seefahrer wurde ein schlichtes Holzkreuz errichtet, auf dem der Zeitpunkt der Beerdigung sowie der Name des Fundortes vermerkt wurde. Einmal gelang es einen 1890 auf dem Friedhof Beigesetzten im Nachhinein zu identifizieren: Es handelte sich dabei um einen 18jährigen Matrosen, der ertrank, als das Schiff “Gerhardine” im Oktober 1890 strandete. Für ihn wurde eine Gedenktafel errichtet.

Seit 1907 werden nun unbekannte, tot aufgefundene Seeleute auf dem neuen Friedhof in Westerland beigesetzt, bzw. dort, wo er strandete – also in List oder Keitum. Der Friedhof für Heimatlose ist aber als Gedenkstätte erhalten geblieben und erinnert daran, wie weit weg von Zuhause man sich auf den Schiffen befindet und dass nicht jedes Schiff einem Nordseesturm standhalten muss. Die Bescheidenheit der Holzkreuze erinnert Lilly daran, dass Prunk und Pracht im Tod nicht mehr notwendig ist.

© Daniela Neuwirth 2021-02-01

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