Georgien Fragmente: Meine erste Rede.

Nini Tsiklauri

von Nini Tsiklauri

Story

Es ist ein heißer Spätsommer Nachmittag. Ich sitze hinten in einem dicken weißen four-wheel drive SUV mit einer Europa Fahne und einer monströsen Antenne auf dem Weg zu dem Ort, vor dem ich mich am meisten fürchte. Vorne sitzt ein massiver, gut gelaunter, weißhaariger Grieche mit einer Pilotenbrille, in der sich der aufgewirbelte Boden spiegelt. Seine schwitzigen Hände umklammern fest den Lenker, während er sich durch die wilden georgischen Wege Richtung süd-ossetische Grenze kämpft. Es ist so heiß, dass er die arme Klimaanlage schließlich begnadigt und alle Fenster herunterlässt. Es wird tatsächlich kühler, vielleicht ist es aber auch nur bloße Einbildung. Eine sanfte Brise streift meine Wange und ich bin wieder da, an dem Ort wo vorher keiner war. Der hügelige Horizont, die goldene Sonne, die unheimliche Stille, ich denke an einen alten Freund aus vergangenen Tagen und falle in ein Tagtraum.

Dort standen wir zwei vor drei Jahren. Er auf einer kleinen Erhöhung umgeben von jubelnden Frauen, Männern und Kindern. Und ich, geflasht, mitten im Geschehen. „Du musst diese Menschen kennenlernen“ sagte er zuvor, „Sie haben Schlimmes durchgemacht, wie du in 2008“.

Er hält seine Rede, als wäre sie seine Letzte. Wie immer. Typisch er halt. Dabei beobachte ich die vielen hoffnungsvollen Gesichter drumherum. Uns allen umgibt eine besondere Energie. Wir teilen nicht nur dasselbe Schicksal, sondern auch dieselben Träume und noch ist es nicht zu spät. Alles spielt sich wie in Zeitlupe ab, während meine Augen, voller Freude und Melancholie, glasig werden und ich beginne tief zu atmen. Urplötzlich höre ich meinen Namen. Er reicht mir seine Hand. Ohne zu zögern lasse ich mich aus der Menge auf die Bühne ziehen. „Jetzt du“, sagt er und grinst frech. Er drückt mir sein Mikrofon in die Hände und geht mit verschränkten Armen hinunter zu dem Platz, an dem ich vorher stand. Erstarrt und etwas verlegen stehe ich nun alleine im Zentrum und spüre die erwartungsvollen Augen aller Anwesenden. Auf einmal Stille. Nichts. Ich stehe sicher nicht zum ersten Mal auf der Bühne, aber das hier ist etwas völlig anderes. Es ist verdammt echt und geht unter die Haut. In dem Moment erhellt die Sonne die endlos vielen roten Dächer der IDP Häuser. Drei Jahre zuvor war ich in diesem Gebiet dem Tod entkommen und sah noch Bomben auf die Häuser fallen.

Die erwartungsvollen Blicke der Menschen, die Spannung und ihre spürbare Hoffnung. Ein unvergesslicher Augenblick. Mir wird klar, alle Einwohner dieser Einrichtung stehen jetzt hier direkt vor mir und ich muss alles geben, bei der ersten Rede meines Lebens. Danke, Herr Präsident…

© Nini Tsiklauri 2020-04-17

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