Geschichte von Tante und Nichte

Marianne Schmidt

von Marianne Schmidt

Story

(Die Nichte)

Meine Hobbygärtnerleidenschaft nahm ihren Anfang im Garten meiner Großmutter am westlichen Stadtrand von Wien. Sie erlaubte mir, zwei Reihen Erbsen anzupflanzen, und zeigte mir, wie man Paradeiser ausgeizt. In meiner Kindheit fraß ich mich, so wie meine Tante vor mir, durch den Garten. Es geht nichts über knackige Karotten direkt aus der Erde! Ich habe es schon immer geliebt, mit meinen Händen in der Erde zu graben, später die Früchte zu ernten und zu verarbeiten.

Jetzt wohne ich in der südlichen Steppe, wie ich die Landschaft südlich von Wien immer zu nennen pflege.Ich liebe meinen Garten, und obwohl er so klein ist, gibt es so manches zu entdecken…

Was regt sich da im frostfesten Topf mit dem roten und weißen Zierkohl? Schneeweißchen und Rosenrot, der winterliche Farbklecks im Garten, bringen im Frühjahr einen zauberhaften Blütenstand hervor.

Paradiesisch für die Hobbygärtnerseele ist die Feststellung: Hurra, es hat überlebt und kommt wieder! Meine Tante und ich pflegen einen fröhlichen Austausch von Fotos über frisch erwachte bzw. neu erbeutete Pflanzen und Blumen. Unser Spezialgebiet: Fachsimpeln in Gartencentern und auf Gartenschauen.

Im Vorgarten steht ein Lavendelstrauch von beachtlicher Größe. Er erfreut mich jedes Jahr mit betörendem Duft, Farbenpracht und einem fröhlichen Hummen und Summen. Ich liebe es, minutenlang vor ihm zu stehen und zu hören und zu schauen. Jetzt blühen auch die violetten Lilien, die sich zum Flieder in Nachbars Vorgarten hingezogen fühlen und eine rosa-lila Symbiose eingegangen sind.

Der Sommer beschert eine unermüdlich wiederkehrende Blütenpracht auf der englischen Kronprinzessin, wie ich meine Edelrose zu nennen pflege. Kein Tag vergeht, an dem ich meine Nase nicht in die zitronig duftenden Blüten stecke.

Sempervivum – ich liebe diesen Namen! Jedes Jahr treu wiederkehrend und nicht umzubringen, mein Hauswurzen. Das sind doch die idealen Pflanzen für die südliche Steppe. Meine Devise lautet: wachsen lassen und beobachten.

Besonders gerne habe ich meine kleine Hängehainbuche. Die Äste wachsen, wie magisch angezogen, in Richtung Erde und bilden eine gemütliche Schattenkugel.

In meinem kleinen Gartenparadies befindet sich auch ein richtiges Vogel-Spa, eine Vogeltränke, in der sich eine Spatzenbande regelmäßig lautstark zum Baden einfindet. Das Dach der Gartenhütte wird zum Strand, und die Spatzen breiten dort ihre Federn aus, um sie trocknen zu lassen, ein echtes Schauspiel!

Mein Lieblingsplatz im Garten ist die Hängematte unter der Hängehainbuche. Ich finde Entspannung darin, meine Augen möglichst lange an Blüten und deren Besucher weiden zu lassen. Der Garten lässt mich träumen, von einer kleinen, heilen Welt. Und ich denke an meine Tante, die am westlichen Wald bereits ihre Hängematte unter einem Dirndlstrauch aufstellt….

© Marianne Schmidt 2021-04-18