Goethes Faust – Corona Edition (1/13)

Paul Martzak-Görike

von Paul Martzak-Görike

Story

Der leibhaftige Teufel erschien Doktor Faustus in dessen Behandlungszimmer: Schwefel und Nebel stiegen vom Boden auf, das Licht flackerte, Blitze zuckten von der Decke und ein leichtes Beben rollte durch den Raum. Dann saß er da, der Unhold – und hatte noch nicht einmal einen Termin!

„Sie wünschen?“ fragte Dr. Faustus, vom langen Arbeitstag im Krankenhaus erschöpft.

„Ich bin gekommen, um dir einen Handel vorzuschlagen“, vermeldet der Teufel geheimnisvoll.

Dr. Faustus hatte nur ‚Handel‘ verstanden und schloss auf einen ‚eingeschränkten Handlungsspielraum‘ – ein rascher Blick auf das seltsame Männlein mit Spitzbart und Hahnenfeder am Hut genügte: „Ich sehe schon, wo das Problem liegt.“ Dr. Faustus deutete auf den rechten Fuß des Teufels, seinen Pferdefuß. „Ganz klar ein Klumpfuß“, sagte Dr. Faustus. „Das bekommen wir aber wieder hin. Ich überweise Sie zum Orthopäden.“

„Sie meinen wirklich, man könnte es behandeln?“ fragte der Teufel sehr interessiert, ehe er sich auf seine eigentliche Pflicht besann: „Deshalb bin ich gar nicht gekommen!“

„Also keine Behandlung?“ seufzte Dr. Faustus. Er hätte es sich auch gleich denken können: die Hahnenfeder und dazu das feuerrote Gewand – ganz klar einer von diesen Esoterikern!

„Ich kann Ihnen leider kein Wundermittel verschreiben“, sagte Dr. Faustus.

„Aber ich!“ jubelte der Teufel. Wie von Geisterhand erschien ein Dokument in seinen Händen: „Du musst nur unterschreiben. Mit deiner Unterschrift vermachst du mir deine Seele.“

„Aha“, sagte Dr. Faustus. „Kommen Sie aus der Pharmaindustrie? Die haben üblicherweise solche Angebote.“

„Aber nicht doch!“ protestierte der Teufel. „Ich bin ein ehrlicher Mann – und du bekommst auch etwas dafür.“

„Eine Einladung zu einem Kongress?“ fragte Dr. Faustus skeptisch.

„Besser!“ jubelte der Teufel. „Du bekommst, was du willst!“

Der Arzt zeigte sich wenig erfreut. „Vielleicht sollte ich Sie auf die Psychiatrie überweisen“, murmelte er.

„Jetzt sei doch nicht so langweilig!“ rief der Teufel entrüstet. „Du wirst dir doch etwas wünschen! Wie wäre es zum Beispiel, wenn ich dich wieder jung werden lasse – ist das nichts?“

„Wieder jung? Wieder ein Student sein?“

„Ganz genau!“ rief der Teufel. „Und es reicht deine Unterschrift!“

„Wenn du sagst ‚jung‘“, sagte Dr. Faustus. „Werde ich dann wieder so jung sein, dass ich den Inhalt meines ganzen Studiums vergessen habe? Dann sind wir nämlich gleich fertig – noch einmal kämpfe ich mich nicht durch die vielen SIP-Prüfungen!“

© Paul Martzak-Görike 2022-12-13

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