Gutes Karma

Beate Schilcher

von Beate Schilcher

Story
New York, Boston, Wien 2023

Heute hat mir jemand das Karma erklärt. Es funktioniert so: Haben Sie es ungĂĽnstig getroffen? Klarer Fall. Hätten Sie sich in frĂĽheren Leben mehr angestrengt, dann wäre das jetzt nicht passiert. Tja, Ursache und Wirkung. Schlechtes Karma. Da ist fĂĽr diesmal nichts zu machen. – Wie erleichternd muss solch feine Erkenntnis fĂĽr ein Kind mit komplexem Entwicklungstrauma sein. Oder fĂĽr Unfallopfer von FahrerflĂĽchtigen, oder den einst systemrelevanten Mindestrentner, dem das Heizen zu teuer ist. – Alles nur Karma! Da mĂĽssen Sie durch. Empathie wäre da fehl am Platz. Lernen Sie endlich, positiv zu denken. Rein in den Lotossitz. Meditieren Sie gefälligst. Zum Beispiel: ĂĽber einer kleinen gelben Ente, die Ihre verstopfte Aorta rauf- und runterschwimmt. Ja, gelbe Enten, die strahlen so. Seien Sie dankbar fĂĽr kleine gelbe Enten. Oder fĂĽr sonstwas, Hauptsache, dankbar. Unentwegt. Die nächste Inkarnation ist nur ein Leben entfernt. – Seien wir also dankbar, in einem Land zu leben, in dem Autos meist noch ausweichen, um Einsatzfahrzeuge durchzulassen. In Boston juckt ein Blaulicht keinen mehr. Vielleicht kommt dort der Tag, an dem sich Rettungsfahrer:innen den Weg freischiessen. Oder sie geben das Retten auf und werden Talkshow-Host. Dann können sie es irgendwann auch ins WeiĂźe Haus schaffen. Karma treibt seltsamste BlĂĽten. – DafĂĽr habe ich in New York Folgendes erlebt: Vorgewarnt, dass Taxler extrem unfreundlich seien, steige ich in ein Yellow Cab, erschöpft und hungrig nach einem langen Tag im Museum. Der rumänische Taxifahrer? Schenkt mir eine Banane. – Seien wir dankbar, in einer Stadt zu leben, in der Freddy, der gĂĽtige alte Mann aus Georgien, tagaus, tagein Wache vor dem Supermarkt in der HimmelstraĂźe hält. Seit 16 Jahren lässt er uns fĂĽr einen Moment innehalten und hilft uns, wenn wir wollen, ein kleines StĂĽck Karma abzutragen. – Was sonst noch froh macht? Dass Kinder hierzulande nicht deshalb im Wald verschwinden, weil ihre herzlosen Eltern sie dort ausgesetzt hätten. Weit gefehlt! Das Märchen von Hänsel & Gretel sieht heute so aus: Die verirren sich mit ihren E-Scootern im Wald. Wo dummerweise noch keine E-Tankstelle steht, dafĂĽr aber gutes Karma, als Handymast getarnt. – Ursache und Wirkung, so einfach ist Karma. Irgendwann in einem frĂĽheren Leben haben Sie etwas getan, dass Sie besser nicht hätten tun sollen. Und jetzt wundern Sie sich ernsthaft ĂĽber die hohe Inflation oder den Pickel auf der Nase? Oder Sie haben was Nettes getan, ohne dass es aufgefallen wäre, und hey, schon haben Sie die Banane. Ist doch erlernbar, das mit dem Karma. – Apropos: Haben Sie’s bemerkt? Die Erleuchtung wird uns praktisch täglich in den Nachrichten serviert: John Goodenough, mit 97 Jahren ältester Nobelpreisträger aller Zeiten, hat sich, 100jährig, von der Erde verabschiedet. Bis zuletzt hat er an der Superbatterie geforscht. Merke: Gut genug (good enough) reicht allemal fĂĽr gutes Karma. – Oder, ein klarer Fall von zu wenig gelbe Ente: „In den USA soll eine Reinigungskraft jahrzehntelange Forschung ruiniert haben, weil sie einen Gefrierschrank mit wichtigen Proben aufgrund eines störenden Signaltons ausgeschaltet hat. … Die Hochschule klagte den Arbeitgeber der Reinigungskraft.“ (orf.at, 27.6.2023). Die Reinigungskraft: ErfĂĽllungsgehilfin des Schicksals. Daher dichte ich jetzt. Eigens fĂĽr diese Hochschule und alle mit ausgeprägt schlechtem Karma:

Hab Ente im Herzen, ob´s stürmt oder schneit. Dann ist gutes Karma auch gar nicht mehr weit.

© Beate Schilcher 2023-06-27

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Humor& Satire, Spiritualität
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Herausfordernd, Komisch, Hoffnungsvoll, Inspirierend, Reflektierend
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