Hamlet on Wheels

Roman Scamoni

von Roman Scamoni

Story

„Die Bühne war sein Königreich, doch die Stufen davor waren seine Festungsmauern.“ Alex atmete tief durch, als er den Leiter der Theatergruppe ansah. Herr Berger stand mit verschränkten Armen vor ihm, ein skeptisches Lächeln auf den Lippen.

„Ein Hamlet im Rollstuhl? Ich weiß nicht, Alex. Das Publikum ist nicht bereit dafür.“
„Was ist mit dem Publikum? Shakespeare hat keine Bühnenanweisungen, die sagen, dass Hamlet laufen muss.“
„Es geht um mehr als das,“ erwiderte Berger und gestikulierte unruhig. „Unser Theater ist nicht barrierefrei. Die anderen Schauspieler könnten überfordert sein, und ehrlich gesagt—“ Er zögerte. „Das passt nicht ins Bild, verstehst du?“

Alex schnaubte innerlich. Ins Bild? Er sah, wie Bergers Blicke seinen Rollstuhl musterten, als wäre er ein Fremdkörper in der Welt der Kunst. „Kunst ist doch genau das: die Grenzen des Gewohnten zu sprengen und Barrieren zu überwinden“ Alex’ Stimme wurde lauter, aber Berger schüttelte nur den Kopf.„Manchmal müssen Träume eben der Realität weichen, Alex. Es tut mir leid.“ Wut und Enttäuschung brannten in Alex’ Brust, als er das Theater verließ. Warum träume ich überhaupt? Vielleicht hat er recht.

Doch in diesem Moment trat Emma in sein Leben. Die alte Schauspiellehrerin, selbst mit gebeugtem Rücken und einem Gehstock, sprach ihn an.„Ich habe dich gehört, Junge. Du hast Feuer. Warum willst du es löschen lassen?“ Alex zuckte mit den Schultern. „Was soll ich tun? Man hat mir gesagt, ich passe nicht ins Bild.“
Emma lachte trocken. „Dann male ein neues Bild.“

In den folgenden Wochen arbeiteten sie gemeinsam an einem radikalen Konzept. „Dein Hamlet kämpft nicht gegen Claudius, sondern gegen die Barrieren, die ihn umgeben. Ein innerer und äußerer Kampf“, erklärte Emma. „Die Welt muss sehen, was es heißt, ausgeschlossen zu sein.“ „Das wird nie jemand aufführen,“ meinte Alex zynisch, doch Emma blieb unbeirrt. „Dann führen wir es selbst auf.“

Mit Emmas Unterstützung organisierte Alex Proben in einem kleinen Gemeindezentrum. Freunde, Schauspielkollegen und Neugierige kamen zusammen, um ein Stück zu sehen, das weit mehr war als Shakespeare: Es war Alex’ Leben. Am Premierenabend war das Publikum zahlreich. Die skeptischen Blicke zu Beginn wandelten sich schnell in gebannte Aufmerksamkeit, als Alex in seinem Rollstuhl die Bühne betrat. Mit seiner kräftigen Stimme sprach er den berühmten Monolog:

„Sein oder Nichtsein – das ist hier die Frage. Doch für wen? Für die, die Türen schließen und Brücken abbrechen? Oder für die, die sich durch Mauern kämpfen?“

Der Saal war still. Alex’ Hamlet sprach von Schmerz und Isolation, aber auch von Mut und Veränderung. Das Publikum tobte vor Applaus, als der Vorhang fiel.

Emma meinte „Siehst du? Die Bühne ist dein Königreich.“
Alex lächelte. „Und die Festungsmauern? Die bauen wir Stück für Stück ab.“

© Roman Scamoni 2024-12-03

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Inspirierend, Reflektierend
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