von Lena Hedemann
Irgendwie scheint es zu gehen und dann ist es auf einmal sechs Monate her. Ich bin wieder zurück in meinem Job und lebe in unserer gemeinsamen Wohnung. Im Flur stehen, wie Zeitzeugen, seine Schuhe. Der große Schock ist weg, aber auf mir liegt so eine unglaubliche Schwere und immer noch diese Ohnmacht. Ich würde so gerne mit ihm reden. Ihn fragen, wie er das alles erlebt hat. Wie es ihm „dort oben” – oder wo auch immer er ist – geht. Manchmal erschrecke ich, weil er mir nicht mehr so nah, wie am Anfang ist. Zwischen uns ist eine Mauer aus Schmerz. Auch körperlich macht sich die Trauer in Form von Kopfschmerzen bemerkbar. Ich habe solche Angst, ihn ganz zu verlieren. Wartet er irgendwo auf mich? Ich denke immer wieder an dieses Auto, was vor mir war und auf dem stand: „Follow me if you can”. War das ein Zeichen von ihm? Alle meine Gedanken kreisen darum. Ich will zu ihm. Warum ist er da und ich muss hier bleiben? Warum will der scheiß Himmel mich nicht? Vielleicht kann ich ohne ihn leben. Aber ich will es nicht.
„Du bist doch noch so jung.” höre ich oft. Als ob es das weniger schlimm macht. Ich weiß, es ist als Trost gemeint, aber es macht mich jedes Mal richtig wütend. Was soll ich denn machen? Schnell jemand anders heiraten und dann ist alles wieder gut? Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es jemals wieder gut werden kann. Mir hilft es, als ich über das „Hinterhersterben” lese: Wenn ein Partner stirbt, dann wird der oder die Andere krank und stirbt kurze Zeit später „hinterher”. Ein Teil von mir ist überzeugt, dass es bei uns auch so sein wird. Genau das gibt mir Kraft und macht es in schweren Momenten erträglicher: Der Glaube, nicht mehr lange hier bleiben zu müssen und bald wieder bei ihm sein zu können. So wird es für mich aushaltbarer. Ich vermisse es, in den Arm genommen zu werden und fühle mich so schrecklich alleine. Warum denn das Ganze? War unsere Liebe nur dazu da, mir zu zeigen, wie schön es sein kann? Um es mir dann wieder wegzunehmen?! Wenn ich doch nur irgendeinen Sinn darin erkennen könnte.
Ich kann aber auch wieder lachen, tanzen und reise beruflich viel herum. Manchmal verdränge ich dadurch auch einfach nur und trinke viel zu viel. Es ist, als ob es nur schwarz oder weiß gibt. Das Gefühl der vollkommenen Sinnlosigkeit, alles erscheint nur noch schwarz. Aber auch das Gefühl, dass das Leben so schön ist. Es ist gleichzeitig auch leichter als vorher, weil ich viele Dinge nicht mehr so ernst nehme und mich nicht mehr so stresse. Eine ganz neue Art der Gelassenheit ist in mein Leben eingezogen. Ich habe so etwas wie einen Freifahrtschein oder eine Schonfrist, in der alle mir mit sehr viel Verständnis begegnen. So kann ich mir herausnehmen, die Familienfeier abzusagen oder im Job Dinge nicht zu machen, auf die ich keine Lust habe. Das Leben ist irgendwie intensiver geworden. Dem tiefen Gefühl von Trauer steht auf der anderen Seite auch eine stärkere Freude, Leichtigkeit und so etwas wie Lebenshunger entgegen.
© Lena Hedemann 2024-01-17