Ein Moment der Unachtsamkeit. Das Auto krachte in einen Baum links von der Straße. Ein Aufprall. Die Frontscheibe zerbarst, Äste gelangten in den Wagen, spießten alles auf ihrem Weg auf. Keine Regung. Die Vordersitze waren blutüberströmt. Hinten im Wagen saß ein Junge. Er atmete noch, hielt sich mit den Händen verzweifelt die Ohren zu, als könne er die Welt abhalten auf ihn niederzufallen. Seine Eltern waren tot.
Trotz der gelblichen Farbe an den Wänden, den bunten Zeichnungen, die an überdimensional großen Tafeln hingen, war der Flur kalt. Es schien, als würde die Wärme der Heizung das Gebäude nicht ausfüllen können. Als sie sich, zuerst am Empfangsschalter, dann bei zwei Pflegern in klinisch weißen Uniformen, bis zu Zimmer 402 durchgefragt hatte, war bereits einige Zeit vergangen.
Ihr war mulmig zumute, die Hand verweilte erhoben, als wolle sie an die Türe klopfen, hätte es sich jedoch noch während der Bewegung anders überlegt. Der Junge, schalt sie sich selbst, kann nichts dafür, dass sie für ihn wieder einen Fuß in ein Krankenhaus setzen musste, auch wenn sie sich wünschte, es wäre nicht nötig gewesen.
Für diese Einstellung gab es verschiedenste Gründe. Sie verband mit dem sterilen Geruch unangenehme Erinnerungen an ihre Kindheit, in der ihr Großvater einer Krankheit erlegen war. Abgesehen davon, wären die Eltern des Jungen noch am Leben und er nicht im Krankenhaus, müsste sie nicht die undankbare Rolle übernehmen, mit ihm die weitere Vorgehensweise zu besprechen. Jedoch, es half alles nichts. Mit beherztem Griff drückte sie die Klinke hinunter, nicht ohne ein weiteres Mal tief durchzuatmen und ihr freundlichstes Lächeln aufzusetzen.
Erste Eindrücke zählten, vor allem bei Kindern, das hatte sie vor langer Zeit gelernt.
Niemand hätte sie auf die Szenerie, die sie empfing, vorbereiten können. Der Junge, laut seiner Akte war er vierzehn Jahre alt, saß aufrecht in seinem Bett und starrte unentwegt an die gegenüberliegende Wand. Sarah konnte nicht umhin zu bemerken, dass auch hier die scheußliche gelbe Farbe gewählt worden war, die sie bereits im Flur mit allerlei Assoziationen bombardiert hatte.
Ihre Aufmerksamkeit richtete sich erneut auf den Jungen im Bett, der ihre Anwesenheit weder kommentierte, noch ihr mehr als einen Blick zuwarf. Sie hatte Neugierde erwartet, Zorn, wenigstens eine kleine emotionale Regung.
Alles, nur nicht die Leere in seinen Augen…
© Jasmin Fürbach BA 2021-08-08